88 Das Peutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 17. 18.)
nach dem Urteil des Reichsgerichts nicht angenommen werden, daß die
öffentliche Ausstellung von Kunstwerken den Anschauungen über Zucht und
Sittlichkeit zuwiderlaufe. Auch photographische Abbildungen, die die künst-
lerische Absicht erkennen lassen, tragen nicht den Stempel des Unzüchtigen.
Ich möchte hervorheben, daß auch die Strafrechtskommission sich zu einer
Aenderung der bestehenden Bestimmungen für das neue Strafgesetzbuch
nicht veranlaßt gesehen hat. Die Unbrauchbarmachung von Nachbildungen
von Kunstwerken der Dresdner Galerie ist erfolgt, weil sich aus den Um-
ständen des Vertriebes der Tatbestand der Unzüchtigkeit ergab. Die Frage,
ob die Einziehung sämtlicher Darstellungen gestattet ist oder nicht, wenn
die Nachbildungen von Kunstwerken mit unzüchtigen Nachbildungen zu-
sammen vertrieben werden, bedarf noch der weiteren Klärung und muß einer
erneuten Prüfung unterzogen werden.“
Die Debatte wird fortgesetzt durch den Abg. Heine (Sd.), der sich
über die parteiische Handhabung der Rechtsprechung namentlich in Be-
leidigungsklagen verbreitet und weiter das Verfahren bei der Verfolgung
unsittlicher Postkarten kritisiert. Ferner Abg. Dr. Gerlach (Z.) und Dove
(Fortschr. Vp.).
Am 19. Februar wird im Anschluß an den Etat der Reichsjustiz-
verwaltung der Fall der Witwe Haunen besprochen, die wegen Beihilfe bei
der Ermordung ihres Mannes zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt worden
war, von der aber namentlich unter Führung sozialdemokratischer Abge-
ordneter behauptet wurde, daß in diesem Falle ein Justizmord begangen
worden sei. Der Fall gab zu lebhaftem Meinungsaustausch über Einzel-
Künten der Rechtspflege, besonders über die Tätigkeit der Kriminalpolizei
nlaß.
17. Februar. (Deutscher Reichstag.) Der Reichstag stellt
durch Annahme eines entsprechenden Antrages die von der Kom-
mission gestrichenen 46000 Mark als erste Rate eines Reichsbeitrags
für die Olympischen Spiele wieder her.
18. Februar. (Deutscher Reichstag.) Eingang eines Gesetz-
entwurfes gegen Gefährdung der Jugend durch Zurschaustellung von
Schriften, Abbildungen und Darstellungen. Der Entwurf lautet:
Die Gewerbeordnung wird, wie folgt, ergänzt: 1. Nach § 43 ist
folgender § 43a einzufügen: Schriften, Abbildungen und Darstellungen dürfen
in Schaufenstern, in Auslagen innerhalb der Verkaufsräume oder an
öffentlichen Orten nicht derart zur Schau gestellt werden, daß die Zurschau-
stellung geeignet ist, Aergernis wegen sittlicher Gefährdung der Jugend zu
geben. 2. Nach § 149 ist folgender § 149a einzufügen: Mit Haft oder Geld-
strafe bis zu 300 Mark wird bestraft, wer den Bestimmungen des § 43a
zuwiderhandelt.
Aus der Begründung: Es wird betont, daß Handel und Gewerbe
nicht durch ein Verbot eingeengt werden sollen, das auch anständige Buch-
und Kunsthandlungen sowie sonstige Gewerbetreibende fortdauernd in die
Gefahr der ungewollten und oft unvermeidlichen Gesetzesverletzung hätte
bringen können. Diese Wortfassung lehnt sich an die des § 56 Nr. 12 der
Reichsgewerbeordnung an. Doa sie alle Verstöße gegen die Moral und die
Rechtsordnung, insbesondere also auch die aufdringliche und die Neugier
anreizende Schilderung oder Abbildung von Unglücksfällen, Verbrechen und
der Verfolgung umfaßt, konnte die der Gesetzessprache und insbesondere der
Reichsgewerbeordnung bereits geläufige Bezeichnung für den vorliegenden