100 Jas Beische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 19.—21.)
Ich verweise da auf den auffallenden Artikel des ausgezeichneten Mit-
arbeiters der „Kreuzzeitung“, Herrn Professors Schiemann, der mit Wärme
für ein deutsch-englisches Bündnis plädiert und in striktem Gegensatz zu
einer vom Abg. von Heydebrand vor Jahren hier gehaltenen Rede steht.
Ich muß allerdings loyalerweise zugeben, daß inzwischen auch die Stim-
mung in England sich wesentlich geändert hat. Bei Verhandlungen mit
England müssen wir alles Sentimentale beiseite lassen. So geht heute
Japan mit seinem steten Feinde Rußland ohne das leiseste Bedenken zu-
sammen. Es läßt sich allein von seinen eigenen Interessen leiten. Das
könnte man unseren führenden Staatsmännern für unsere Auslandspolitik
auch raten. Warnen muß ich aber davor, daß man den Abschluß einer
Verständigung mit England als Selbstzweck unserer Politik behandelt. Die
Stimmung ist in England wesentlich umgeschlagen, als die Einkreisungs-
politik des staatsklugen Königs Eduard VII. Schiffbruch gelitten hat. Daß
dies der Fall war, das verdanken wir der Schöpfung der deutschen Flotte.
Diese verdanken wir in erster Linie der staatsklugen Politik des Reichs-
kanzlers Bülow, dann aber auch der großen organisatorischen Kraft des
Staatssekretärs Tirpitz, aber auch der großen Unterstützung, die diese Politik
beim deutschen Volke und bei der deutschen Volksvertretung gefunden hat.
Ein anderes Moment für den Umschwung der Stimmung im englischen
Volke war der Umstand, daß das englische Volk sah, daß ihm während der
Marokkokrise die Fäden der Weltpolitik aus der Hand genommen worden
sind. Es verletzt sein nationales Empfinden, wenn es sieht, daß die Welt-
politik nicht mehr in London, sondern in Paris oder Petersburg gemacht
wird. Die Aenderung der Volksstimme in England ist eine echte und starke.
Solange England damit glaubte rechnen zu können, daß eines Tages ein
großes Geschwader von Schiffen und Flugschiffen auf der Insel England
lande, mußte mit der Stimmung wachsenden Mißtrauens gerechnet werden.
Jetzt ist in England, wie in Deutschland die Erkenntnis erstarkt, daß starke,
wirtschaftliche Interessen und politische Aufgaben beide Länder Seite an
Seite bringen müssen. Man beginnt in England einzusehen, daß der alte
Gegensatz zwischen Rußland und England sich nicht aus der Welt schaffen
läßt. Ich stimme mit dem Abg. Noske überein, daß die Frage der Ab-
rüstung nur auf der Grundlage einer internationalen Verständigung denkbar
ist. England und Deutschland können sich nicht allein verständigen, wenn
Frankreich und Rußland dabei fehlen. Bezüglich des Baufeierjahres kann
ich nur dem beipflichten, was der Staatssekretär in der Dunkelkammer der
Kommission gesagt und hier im Plenum wiederholt hat. Das Ergebnis
der Verhandlungen mit England wird von dem Geiste abhängen, mit dem
sie geführt werden. Sie werden Erfolg haben, wenn man sich in jedem
Moment bewußt bleibt, welch eine gewaltige wirtschaftliche und maritime
Macht hinter uns steht. Dann muß auch der fanatischste Flottengegner
erkennen, als was für ein mächtiger Friedensfaktor und Förderer der
deutschen Wohlfahrt sich unsere Flotte erwiesen hat.“
Abg. Warmuth (Rp.): „Ich habe es mit großer Freude vernommen,
daß die Stimmung uns gegenüber in England umgeschlagen ist. Es ist
immerhin zu begrüßen, daß man die Einkreisungspolitik uns gegenüber
aufgegeben hat. Das zeigt, daß man Respekt vor unserer großzügigen
Flottenpolitik und Achtung vor der organisatorischen Kraft des Staats-
sekretärs hat. Ich will auf dieses Zusammenrücken der beiden Nationen
keinen Schatten werfen, aber wir sind doch nicht frei von Sorge, ob diese
Verhandlungen schließlich nicht wieder mit einem Mißklang schließen. Wir
haben es sehr häufig erfahren, wie die beiderseitigen Beziehungen sich an-
fangs recht freundschaftlich gestalteten und schließlich doch mit einer großen