Das Dentsqhe Reith und seine einzeluen Glieder. (Februar 20. 21.) 105
W0. Februar. Die sozialdemokratische Agitatorin Rosa Lurem-
burg wird in Frankfurt a. M. wegen Widerstand gegen die Staats-
gewalt und wegen der an Soldaten gerichteten Aufforderung, vor
dem Feinde zu meutern, zu einem Jahre Gefängnis verurteilt.
Der „Vorwärts“ schreibt außerordentlich erregt über das Urteil,
das er ungeheuerlich und unverständlich findet. Er bemerkt weiter dazu:
„Die Verurteilung war nur möglich durch die völlige politische Verständnis-
losigkeit für die sozialdemokratischen Anschauungen. Dem Gericht will nicht
i den Kopf, daß das Volk darüber zu entscheiden habe, ob Mordwaffen
gegen die Brüder jenseit der Grenzen zu erheben sind. Es ist ihm platter-
dings unverständlich, daß die energische Abwehr gegen die Kriegshetze, daß
der Krieg gegen den Krieg etwas Erlaubtes und im Interesse der Kultur
Notwendiges ist. Das Kolleg, das die Angeklagte dem Gericht gelesen hat,
#el auf steinigen Boden. Der Staatsanwalt sah in der Angeklagten die
volitische Gegnerin. Sein Plädoyer war das Plädoyer der Furcht vor der
Agitation der Angeklagten. Verstieg er sich doch sogar zu einem Haftantrag
gegen die zu ihren Worten stehende Angeklagte. Den Militarismus in dem
Sinne des blindesten Kadavergehorsams glaubt der Staatsanwalt durch die
Angeklagte gefährdet. Ihm ist unverständlich, wie das Volk die durchaus
gesetztiche Macht hat, einem Krieg entgegenzutreten. Ein Bravo der An-
geklagten und zu Unrecht Verurteilten, die tapfer und unerschütterlich zu
ihrer Ansicht stand und leider vergeblich sich bemühte, den engen Horizont
des Gerichts zu erweitern. Völliges Nichtverstehen der Ursachen der welt-
geschichtlichen Zusammenhänge machen allein das Fehlurteil erklärlich. Das
Gericht hat formell die tapfere Streiterin verurteilt, in der Tat die be-
stehende Gesellschaftsordnung, der es zu dienen glaubte, die aber nach dem
Urteil nicht einmal eine Propaganda für den Völkerfrieden vertragen kann.
Die Verurteilung zeigt deutlicher als viele Reden, wie notwendig die Agi-
tation gegen die Kriegshetzer, und wie notwendig die Erfüllung der Losung
ist: Krieg dem Kriege! Sie zeigt aber auch die bestehende Rechtsunsicherheit.“
21. Februar. (Deutscher Reichstag.) Erste Beratung des
Gesetzentwurfs über Abänderungen des Militärstrafgesetzbuches, die
Herabsetzung des Strafmaßes in minder schweren Fällen betreffend.
Kriegsminister v. Falkenhayn: „Ende Juni vorigen Jahres ist
von dem Reichstage ein Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden,
der in gewissen Fällen die Einführung mildernder Umstände vorsieht unter
Herabsetzung der Mindeststrafe. Eine sofort vorgenommene juristische Nach-
drüfung ergab, daß dieser Gesetzentwurf leider geeignet sei, in den Ausbau
und die Geschlossenheit unseres Militärstrafgesetzbuches eine Lücke zu brechen,
als er in einigen Punkten die Mindeststrafe für die schwersten Vergehen
niedriger maß als die Mindeststrafen für andere Fälle. Auch ließ der Gesetz-
entwurf nicht über die Zulässigkeit von Ehrenstrafen in gewissen Fällen
Raum. Diese Erscheinungen lassen sich erklären, da es sich um ein Gelegen-
heitsgesetz handelte, das hier bei der ungeheuren Arbeitslast unter erschwe-
kenden Umständen beraten werden mußte. Das mußte Anlaß zur Erörterung
der Frage geben, ob nicht durch Abänderung der Mindeststrafen das Gleich-
gewicht im Strafgesetz wiederherzustellen sei. Durch eine allzu genaue.
Vrüfung wäre dann aber das Inkrafttreten des Gesetzes für lange Zeit
verzögert worden, und es hätte nicht in dem Falle Anwendung finden
konnen, der ja eigentlich den Anstoß zu seinem Vorschlag gegeben hatte.
Das glaubte ich im Hinblick auf die sachlich einstimmige Annahme des