Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

122 Das Deutsche Reich und seine einzeluen Glieder. (März 9.) 
papiere besitzen. Ich habe niemals daran einen Zweifel gelassen, daß ich 
auf dem Standpunkt stehe, daß im Falle solchen Konflikts in erster Linie 
der inländische Bedarf zu berücksichtigen ist. Wir dürfen die Auslands- 
anleihen nicht vernachlässigen, insbesondere soweit sich politische oder wirt- 
schaftlliche Vorteile mit ihrer Aufnahme verbinden. Als 1911 eine gewisse 
Gefahr bestand, daß trotz des steigenden Zinsfußes unsere Kapitalien zu 
stark nach dem Ausland gezogen würden und ein allgemeines politisches 
oder wirtschaftliches Interesse nicht in Frage kam, habe ich dagegen Ein- 
spruch erhoben. Ich sage Ihnen damit nichts Neues. Ich habe veranlafßt, 
daß die beteiligten Banken von der Auflegung dieser Papiere Abstand 
nahmen, da sie wußten, daß ihrer Zulassung an der Börse Widerspruch 
entgegengestellt werden sollte. Das Recht dazu habe ich daraus abgeleitet, 
daß die letzte Emscheidung darüber, ob eine Gefährdung erheblicher all- 
gemeiner Interessen der Zulassung entgegenstände, doch nicht bei der Zu- 
lassungsstelle, sondern nur bei der staatlichen Behörde stehen könnte. Mit 
dieser Auffassung, wenn sie auch rechtlich hier und da angefochten worden 
ist, bin ich tatsächlich durchgedrungen. Das hat den Vorteil gehabt, daß 
erstens einige Papiere dem deutschen Publikum vom Halse gehalten worden 
sind, von denen sich nachher herausstellte, daß man froh sein konnte, sie 
nicht zugelassen zu haben. Vor allem aber hat es den Vorteil gehabt, daß 
seitdem der größte Teil der Banken sich mit dem Ministerium in Fühlung 
gesetzt hat, wenn Emissionen bevorstanden, und daß wir uns vorher in 
Güte verständigt haben. Das ist sowohl vom Standpunkt der Banken wie 
von dem des Gemeinwohls eine erwünschte Erscheinung. Daß mir durch 
die Entscheidung darüber eine sehr ernste Verantwortung auferlegt wird, 
ist mir vollkommen klar. Sie ist nicht leicht zu tragen, sie muß aber eben 
getragen werden. Man muß dabei einmal die Interessen unserer aus- 
wärtigen Politik und der Wirtschaftspolitik, vor allem aber den Stand des 
Kapitalmarktes berücksichtigen und sich daher möglichst auf dem laufenden 
zu halten suchen. Ich habe dabei in dem Staatskommissar bei der Ber- 
liner Börse eine sehr wirksame Hilfe, der vermöge seiner amtlichen Tätig- 
keit mit diesem Zweige unserer Wirtschaft stets lebendige Fühlung hält. 
Wenn man auch vollkommen anerkennen muß, daß ein gewisser Einfluß 
auf den Zinsfuß dadurch ausgeübt werden kann, daß dem RKapital die An- 
lage in ausländischen Anleihen nicht übermäßig erleichtert wird, so soll 
man doch — darüber bin ich mir vollkommen klar — die Wirkung dieser 
Maßregeln nicht überschätzen. Wenn sich vor einem Jahr gegenüber den 
damals aufgelegten vierprozentigen Schatzanweisungen das Publikum so 
zurückhielt, so lag das doch noch an anderen Faktoren als an dem Angebot 
ausländischer Anleihen, das damals gar nicht so übergroß war. Es lag 
einmal an der allgemein unbehaglichen Stimmung, die die Verhältnisse auf 
dem Balkan damals hervorriefen. Es lag aber zweitens daran, daß dem 
Publikum die Zinsbedingungen nicht paßten. Der Zinsfuß bei den Depositen- 
kassen war so hoch, daß dort das Publikum dieselbe Rente erzielte, ohne 
ein Kursrisiko zu tragen, und daß wieder der Zinsfuß bei den Depositen- 
kassen so hoch war, lag an der allgemeinen Situation des Geld- und 
Kapitalmarktes. Wenn z. B. am Schluß des vorigen Jahres die bayerische 
vierprozentige Anleihe, nach den Zeitungen zu urteilen, keinen durch- 
schlagenden Erfolg hatte und kurz darauf die vierprozentigen preußischen 
Schatscheine diesen Riesenerfolg hatten, so kann man dafür doch wohl nur 
den Unterschied in den Anleihebedingungen, insbesondere in der Gewinn- 
chance der drei Prozent suchen. Sehr richtig! Zuruf: Rückzahlung!) Za- 
wohl, das sage ich eben, die Chance drei Prozent durch die Auslosung zu 
gewinnen, trug sehr dazu bei, die Anleihe so beliebt zu machen. Also das
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.