Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das Denisqe Reich und seine rinzelnen Glieder. (März 13.) 129 
und zu keinem anderen Zweck, als den Gegner aus dem Offiziersstand 
beraus zudrängen. Aus dem Mitgeteilten geht aber doch so viel hervor, daß 
der Zweikampf im Offiziersstande als offizielle Einrichtung noch immer 
beteht und alle Ableugnung dieser Tatsache vergeblich ist. Man hört 
mrgends davon, daß ein Ehrenrat bei einem Offiziersduell jemals wegen 
Beihilfe zum Zweikampf in Strafe genommen worden wäre. Der Vertreter 
de# Ehrenrats, der unter Umständen auf dem Kampfplatz Befehle zu er- 
keilen hat, ist nicht ein einfacher Zeuge; nach dem Gesetz aber ist er als 
Zeuge straffrei. Der Offizier und das Militär darf in dieser Beziehung 
nicht vor dem Zivil bevorzugt werden. Die Motive des Vorentwurfs zum 
neuen Strafgesetzbuch äußern sich über diese Frage in höchst interessanter 
Beise. — So wünschenswert auch die friedliche Beilegung von Ehren- 
bandeln sei, so wenig liege es im Interesse des Staats, die Mitglieder 
des Ehrenrats für straflos zu erklären; das hieße ja das Duell als eine 
berechtigte Einrichtung anerkennen; beim Militär aber seien die Ehren- 
gerichte und Ehrenräte offizielle Einrichtungen und also bestehe hier tat- 
sächlich eine gewisse Antinomie. Nun behaupte ich, es gibt kein Gesegz, 
welches den Offizieren den Zweikampf gestattet und den Ehrenräten die 
Beihilfe zum Duell. Der Kaiser kann Bestimmungen erlassen innerhalb 
der Gesetze und innerhalb des Strafgesetzbuches. Hier muß also die Frage 
erörtert werden, welche Bedeulung das Offiziersduell für die gesamte 
Staatsordnung hat, welche Maßnahmen der Reichskanzler in dieser Be- 
ziehung zu ergreifen gedenkt. Jahrzehnte schon kämpfen wir gegen das 
Duell im ganzen und insbesondere bei den Offizieren. Diese Kämpfe sind 
nicht umsonst gewesen. Im Reichstage wagt es kein Abgeordneter mehr, 
grundsätzlich für das Duell einzutreten; alle erklären, sie sehen das Duell 
als ein Uebel an, und auch die Vertreter der Militärverwaltung erklären 
ihre Bereitwilligkeit, das Duell zu bekämpfen, und geben zu, daß es ein 
Verstoß gegen das göttliche Gebot und die staatliche Ordnung ist. Aber 
wie steht es mit den Konsequenzen aus diesen Zugeständnissen? „Der Herr- 
gott ist ein guter, alter Herr, der wird die Sache nicht so bös nehmen“, 
jo klingt es dabei vielfach durch. Das Gottesgebot aber gilt für alle, auch 
für Militär, für Kaiser, König und Volk, nicht bloß für die Ziodilisten. 
Der Hinweis auf den nicht genügenden Schutz der Ehre durch das Straf- 
gesehbuch ist absolut hinfällig. Ich lasse es dahingestellt, ob unsere Straf- 
bestimmungen für Beleidigung wirklich nicht scharf genug sind. Hier han- 
delt es sich aber um Offiziere. Das Kriegsgericht ist aus Standesgenossen 
zusammengesetzt, die doch die Ehre ihres Kameraden sicher richtig gewürdigt 
hauen. Aber der Offizier fragt nicht danach, ob der Beleidiger eventuell 
eine schwere Gefängnisstrafe bekommt. Er will ihn vernichten und erschießen. 
Man macht nun aber dem Offizier, der eine Beleidigung nicht durch ein 
Duell fühnen will, direkt einen Vorwurf. Etwas Widersinnigeres gibt es 
doch nicht, weil ja gar keine Garantie dafür besteht, daß im Zweikampf 
der schuldige Teil getroffen wird. Im Mai 1912 hat der Reichstag eine 
Reihe von Forderungen bezüglich der Abschaffung des Duells erhoben. 
Leider sind den damaligen Worten keine Taten gefolgt. Der Bundesrat 
hat die Angelegenheit gar nicht näher geprüft, er hat sie dem Reichskanzler 
überwiesen, und dieser hat uns mitgeteilt, daß alles in Ordnung ist. Der 
Reichstag hat sich auch diesmal in der Kommission mit dieser Frage näher 
beschäftigt, und es wird dem Hause ein Antrag unterbreitet werden, der 
heute zwar nicht zur Debatte steht. Darin wird verlangt, daß der Belei- 
diger, der aus ehrloser oder gewissenloser Gesinnung handelt, nicht mehr 
mu custodia honesta, sondern mit Gefängnis bestraft wird. In besonders 
schweren Fällen sollen ihm auch die Ehrenrechte aberkannt werden. Dieser 
Europäischer Geschichtskalender. LV. 9
	        
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