Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das Derisqhe Reiqh und seine einzelnen Glieder. (März 19.—21.) 155 
klärt sich gleichjalls mit den Zielen des Gesetzes einverstanden, hat aber 
gegen mehrere Bestimmungen noch stärkere Bedenken als die Konservativen. 
„Benn wir auch anerkennen, daß Mißstände auf dem Gebiet des Güter- 
handels bestehen, so meinen wir doch, daß es für so weitgehende und tief- 
greifende Maßnahmen, wie sie in dem Entwurf gefordert werden, an einer 
ausreichenden Begründung fehlt. Das Material, das die Regierung an- 
führt, ist sehr bescheiden. Der Güterhandel wird jedenfalls von dem Gesetz 
aufs schwerste getroffen werden. Meine Freunde haben für die gewerbs- 
mäßigen Güterhändler nicht allzuviel Sympathie, aber so weit gehen wir 
doch nicht, daß wir jetzt sagen: Die Güterhändler sind die Wurzel alles 
Uebels. Ganz entbehren kann man sie nicht. Wir werden uns daher be- 
mühen, in der Kommission eine Fassung zu finden, die ähnliche Kalamitäten, 
wie sie sich in Bayern herausgestellt haben, verhüten. Die Verhältnisse sind 
nicht überall so wie in Westpreußen und Posen, wo die Güterpreise eine 
san schwindelhafte Höhe erreicht haben. Dies ist eine Folge der Ansiedlungs- 
politik, die wir stets bekämpft haben, nicht aus parteipolitischen oder kon- 
fessionellen Gründen, auch nicht, um uns den Dank der Polen zu erwerben, 
sondern im Interesse der Allgemeinheit. (Beifall im Z.) Es erfüllt uns 
daher mit Genugtuung, daß wir uns nicht mitschuldig gemacht haben an 
einer Politik, die solche Zustände im Osten herbeigeführt hat. (Zustim- 
mung im Z.) Der Entwurf wird sicherlich stark auf die Preise drücken, 
namentlich durch das Vorkaufsrecht. Es ist sogar zu befürchten, daß die 
Preise unter das Normale fallen, was durchaus nicht im Interesse der 
Landwirte liegt. Ich möchte die konservativen Kreise warnen, nicht in 
den Fehler zu verfallen, den man beim Enteignungsgesetz begangen hat, 
in das private Besitzrecht einzugreifen. (Sehr richtig im Z.) Wir be- 
grüßen den Antrag Engelbrecht, da er sich gegen das Bauernlegen richtet, 
auch der Antrag Boisly ist uns sympathisch, ebenso der nationalliberale 
Antrag, der die Schaffung von Allmenden verlangt. Wir bedauern es, 
daß die Allmendewirtschaft besonders im Osten so stark zurückgegangen 
ist. Wo die Allmende noch besteht, wie in Hessen-Nassau und im 
Rheinland, sollte die Regierung alles tun, um sie zu erhalten.“ (Beifall 
im 3.) 
Abg. Ecker-Winsen (Nl.): „In der Auffassung, daß die innere 
Kolonisation eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart sei, stimmen wir 
mit dem Vorredner durchaus überein. Wir sind auch mit ihm der Meinung, 
daß parteipolitische und konfessionelle Momente bei der Beurteilung der Frage 
gänzlich ausscheiden müssen. Es gilt, den deutschen Bauernstand nicht nur 
zu erhalten, sondern auch leistungsfähig zu erhalten. Die Statistik lehrt, 
daß es, wenn wir Bauern ansetzen wollen, des Neulandes bedarf. Die 
Besiedlung der Moore reicht nicht hin, auch nicht die Aufteilung von Domänen. 
Es bleibt also nichts übrig, als eine Erleichterung der Grundteilung über- 
haupt. Was die Güterschlächterei betrifft, so begrüßen wir die Vorschläge 
der Vorlage; die Kommission muß aber dafür Sorge tragen, daß auch nur 
der unreelle Güterhandel getroffen und der Güterhandel nicht überhaupt 
unmöglich gemacht wird. Der Schwerpunkt der Vorlage liegt aber in dem 
Vorkaufsrecht des Staates. Hier sind wir mit dem Grundgedanken des 
Entwurfs einverstanden. Das Vorkaufsrecht des Staates wird einstweilen 
das einzige Mittel sein, den ungesunden Verhältnissen auf dem Gütermarkt 
mit Erfolg entgegenzuarbeiten. Der Grund und Boden ist zum reinen 
Spekulationsobjekt geworden, wir müssen mit allen Mitteln zu verhindern 
suchen, daß seine Mobilisierung nicht weiter um sich greift. Wir halten 
es aber nicht für zweckmäßig, den Regierungspräsidenten die Genehmigung 
in die Hand zu geben; es ist zu erwägen, ob man sie nicht ausschalten
	        
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