290 Das Dertsche Neich und seine einzelnen Glieder. (Mai 14.)
nicht ins einzelne gehen, aber die Sache liegt so, das wird niemand be-
streiten können. Daher verstehe ich es, weshalb Deutschland so gnädig ge-
wesen ist, wiederum eine Militärmission nach Konstantinopel zu senden.
Ich will nicht weiter daran rühren. Ich bin persönlich kein Freund dieser
Militärmissionen, weil ich immer fürchte, daß wir uns Feinde heranziehen
können, die wir dann ausgebildet haben. Diese deutsche Ausbildung fremder
Truppen hat einen unangenehmen Beigeschmack. Sie ist zwar ein Bewußt-
sein großer Stärke; dieses Stärkebewußtsein kann vielleicht bedenklich werden.
Aber die deutsche Militärmission in der Türkei ge ht nur das Deutsche Reich
und nur die Türkei an. Ich habe im vorigen Jahre schon gesagt, daß ich
ein Freund des Dreibundes bin, aber ein üchterner, kühler Freund. Ich
habe viele herzliche Sympathien für unsere deutschen Landsleute in Oester-
reich. Der Dreibund ist eine geschichtliche Notwendigkeit; wir müssen alles
daransetzen, ihn zu erhalten. Wir müssen bis zu einem gewissen Grade
auch Opfer bringen, um den Dreibund zu erhalten und nicht den eigenen
Bestand irgendwie zu gefährden. Der Dreibund hat bei den Balkanwirren
seine Feuerprobe bestanden; er ist gefestigt nach allen Seiten. Der Tänzer
Frankreich hat zwar manches Mal versucht, Italien vom Dreibund ab-
zubringen; das ist ihm aber nicht gelungen. Es ist die Befürchtung aus-
gesprochen worden, daß in Ungarn die Ciimmung. für den Dreibund nicht
besonders gut sei oder nicht besonders besser geworden sei. Ich teile diese
Befürchtung nicht. Das wird bestätigt durch die Auseinandersetzungen in
den Delegationen der letzten Tage. Die ungarische Regierung wünscht am
Dreibunde festzuhalten, nicht etwa wegen unserer schönen Augen; das
ungarische Volk weiß, was es an dem Dreibunde hat. Kein Mensch will,
daß wir uns mit Frankreich irgendwie überwerfen. Wer die französische
Presse in der letzten Zeit, mit Ausnahme vielleicht der Humanité, mit der
deutschen, auch der sogenannten chauvinistischen Presse, verglichen hat, wird
sagen müssen, daß, wenn auch hüben und drüben gesündigt wird, die Sünde
drüben weit stärker ist als hüben. Drüben ist der Balken, bei uns der kleine
Splitter. Das deutsche Volk hat so wenig Sinn für das, was man eigent-
lich Chauvinismus nennt, daß es nicht gelungen ist, dafür ein deutsches
Wort zu finden. Der Begriff ist uns fremd. Allerdings den Chauvinismus,
der mit dem Nationalgefühl des deutschen Volkes identisch ist, von dem
möchte ich ein gutes Teil dem deutschen Volke wünschen, einen sehr viel
größeren Teil, als es jetzt besitzt. Ich glaube, in Frankreich scheint neuer-
dings eine gewisse Nervosität Platz gegriffen zu haben. In der französischen
Presse wird täglich in grobkörniger Weise gegen uns gehetzt und dabei be-
sonders unser Verhalten zur Fremdenlegion in den Vordergrund gestellt.
Wir können Frankreich nicht hindern, für die Fremdenlegion auf Grund
der bestehenden Verträge zu werben. Aber wir können verlangen, daß die
festgesetzten Grenzen innegehalten werden. Ich scheue mich nicht, zu sagen:
Die Fremdenlegion ist keine Ehre für ein Kulturvolk. Die Fremdenlegion
ist ein Mal der Unehre, und wir müssen unsere Landsleute nach Möglichkeit
davor bewahren, daß sie ihr zum Opfer sallen. Und wenn wir auf Grund
der bestehenden Verträge nicht verhindern können, daß unsere Leute hinaus-
gebracht werden, so muß wenigstens dafür gesorgt werden, daß sie nicht
hin= und hergeschoben werden, bis sie über die Grenze kommen. Von
Frankreich gehe ich zu Rußland über. Wer da weiß, daß ich nach wie vor
den größten Wert auf gute oder mindestens korrekte Beziehungen zu Ruß-
land lege, wird sich nicht wundern, daß man mir eine besondere Vorliebe
für Rußland nachsagt. Daß Rußland rüstet, ist sein Recht, und daß es
Probemobilmachungen vornimmt, dagegen läßt sich nichts sagen. Wir
brauchen sie nicht. Wir können es auch so machen, wir haben Probemobil-