Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das Dentsche Reith und seine einzelnen Glieder. (Juni 13.) 355 
Frage befaßt, inwieweit die Bestimmungen des Gesetzentwurfs auch auf 
den bäuerlichen Besitz ausgedehnt werden können. Ich habe bereits bei der 
Beratung des Fideikommißgesetzentwurfes im Herrenhause darauf hingewiesen, 
daß auch die Regierung zweifellos die Bedeutung des bäuerlichen Besitzes 
und seiner Erhaltung anerkennt, und daß es mir persönlich nur erwünscht 
erscheint, auch dem bäuerlichen Besitzer die Möglichkeit zu geben, sein länd- 
liches Grundeigentum ganz und ungeteilt auf seine Kinder und Enkel zu 
vererben. Ich glaube, alle, die den ländlichen Verhältnissen nahestehen und 
in dem ländlichen Grundbesitz eine der wichtigsten Stützen des Staates 
und der Gesellschaft erblicken, werden mir ohne weiteres zugeben, daß es 
nicht allein auf die Erhaltung des Grundbesitzes in seinen verschiedenen 
Größenklassen, sondern vor allem auch darauf ankommt, die Bevölkerung 
selbst auf ihrem Besitze bodenständig zu erhalten. (Sehr richtig!) Wer das 
zugibt, muß auch ohne weiteres zugeben, daß eine derartige Erhaltung der 
Bevölkerung nicht möglich sein wird auf die Dauer ohne gesetzliche Be- 
stimmungen, welche den Besitz der Familie auf die Dauer erhalten. Wenn 
ich trotzdem der Ansicht Ausdruck gebe, die ich auch im Herrenhause bereits 
äußern mußte, daß es schwer und meiner Ansicht nach unmöglich sein wird, 
die Bestimmungen dieses Fideikommißgesetzentwurfes auf die bäuerlichen 
Besitzungen auszudehnen, so bestimmt mich da in erster Linie die Erwägung, 
daß die Fideikommißgesetzgebung mit ihren zahlreichen Vorschriften über 
Ausdehnung, über Mitwirkung der Familie, bezüglich der Allerhöchsten 
Genehmigung, bezüglich der Verschuldung des Besitzes und in mancher 
anderen Hinsicht viel zu kompliziert erscheint, um in gleicher Weise An- 
wendung finden zu können. Soweit sich ein bäuerlicher Besitzer den Be- 
stimmungen des Gesetzentwurfes unterwerfen will, und soweit sein Grund- 
besitz den Voraussetzungen des Gesetzentwurfes entspricht, ist ja auch nach 
den Vorschlägen der Regierung durchaus kein Hindernis vorhanden, den 
bäuerlichen Besitz fideikommissarisch festzulegen. Aber stellen Sie sich vor, 
daß in den Gegenden mit starkem bäuerlichen Besitz, in Westfalen, Hannover 
und der Rheinprovinz, noch eine größere Anzahl Bauern dazu übergehen 
würde, ihren Besitz nach den Bestimmungen dieses Gesetzentwurfes fidei- 
kommissarisch festzulegen, so würde das, abgesehen von der den Behörden 
erwachsenden Arbeit, auch eine derartige Belastung für den bäuerlichen 
Besitz mit sich bringen, daß, wie ich glaube, in Wirklichkeit nur wenige 
Bauern von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Sowohl in West- 
salen wie in der Rheinprovinz habe ich den bäuerlichen Verhältnissen und 
den Anschauungen der bäuerlichen Besitzer sehr nahe gestanden; ich habe 
mich leider davon überzeugen müssen, daß auch unter den bäuerlichen Be- 
#tzern sehr wenig und sehr selten die Neigung besteht, ihren Besitz in der 
Weise, wie es nach dem Gesetzentwurf geschehen müßte, für alle Zeiten 
sestzulegen. Deshalb bin ich in Uebereinstimmung mit dem Justizminister 
gern bereit, die Frage in der Kommissionsberatung näher zu behandeln, 
aber ich möchte schon heute betonen, daß ich es für richtiger halte, durch eine 
weitere Ausdehnung des Anerbenrechtes, auch durch eine Erweiterung der 
letzt in dieser Hinsicht bestehenden Bestimmungen, den berechtigten Wünschen 
des Bauernstandes und auch den Interessen der Regierung auf wirtschaft- 
lichem und politischem Gebiete entgegenzukommen. Man wird dem Bauern- 
stande leichter und besser helfen, wenn man die Vererbung des Besitzes in 
ainer Hand erleichtert, wenn man dem Erblasser die Möglichkeit gibt, seinen 
Grundbesitz unter erleichterten Bedingungen in einer Hand zu vererben, 
und wenn man auch die Möglichkeit schafft, daß in Ermangelung eines 
Lestaments von selber eine solche Erbfolge stattfindet. Ich glaube auf 
diesem Wege eine Verständigung um so eher erreichen zu können, als wir 
237
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.