Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

478 Bie äkerreichistzzngarische Menarchie. (Juli 28.) 
An meine Völkerü! 
Es war Mein sehnlichster Wunsch, die Jahre, die Mir durch Goues 
Gnade noch beschieden sind, Werken des Friedens zu weihen und Meine 
Völker vor den schweren Opfern und Lasten des Krieges zu bewabren. 
Im Rat der Vorsehung ward es anders beschlossen. Die Umtriebe eines 
haßerfüllten Gegners zwingen Mich, zur Wahrung der Ehre Meiner Mo- 
narchie, zum Schutz ihres Ansehens und ihrer Machtstellung, zur Sicherung 
ihres Besitzstandes nach langen Jahren des Friedens zum Schwert zu greifen. 
Mit rasch vergessendem Undank hat das Königreich Serbien, das von seinen 
ersten Anfängen seiner staatlichen Selbständigkeit bis in die neueste Zeit 
von Meinen Vorfahren und Mir gestützt und gefördert worden war, schon 
vor Jahren den Weg offener Feindseligkeit gegen Oesterreich-Ungarn betreten. 
Als Ich nach drei Jahrzehnten segensvoller Friedensarbeit in Bosnien und 
der Herzegowina Meine Herrscherrechte auf diese Länder erstreckte, hat diese 
Meine Verfügung im Königreich Serbien, dessen Rechte in keiner Weise 
verletzt wurden, Ausbrüche zügelloser Leidenschaft und bittersten Haß her- 
vorgerufen. Meine Regierung hat damals von dem schönen Vorrecht des 
Stärkern Gebrauch gemacht und in äußerster Nachsicht und Milde von 
Serbien nur die Herabsetzung seines Heeres auf den Friedensstand und 
das Versprechen verlangt, in Hinkunft die Bahn des Friedens und der 
Freundschaft zu gehen. Von demselben Geist der Mäßigung geleitet, hat 
sich Meine Regierung, als Serbien vor zwei Jahren im Kampf mit dem 
türkischen Reich begriffen war, auf die Wahrung der wichtigsten Lebens- 
bedingungen der Monarchie beschränkt. Dieser Haltung hatte Serbien in 
erster Linie die Erreichung des Kriegszweckes zu verdanken. Dic Hoffnung, 
daß das serbische Königreich die Langmut und Friedensliebe Meiner Ne- 
gierung würdigen und sein Wort einlösen würde, hat sich nicht erfüllt. 
Immer höher lodert der Haß gegen Mich und Mein Haus empor, immer 
unverhüllter tritt das Streben zutage, untrennbare Gebiete Oesterreich- 
Ungarns gewaltsam loszureißen. Ein verbrecherisches Treiben greift über 
die Grenze, um im Südosten der Monarchie die Grundlagen staatlicher 
Ordnung zu untergraben, das Volk, dem Ich in landesväterlicher Liebe 
meine volle Fürsorge zuwende, in seiner Treue zum Herrscherhaus und 
zum Vaterland wankend zu machen, die heranwachsende Jugend irrezu- 
leiten und zu frevelhaften Taten des Wahnwitzes und des Hochverrats 
aufzureizen. Eine Reihe von Mordanschlägen, eine planmäßig vorbereitete 
und durchgeführte Verschwörung, deren furchtbares Gelingen Mich und 
Meine treuen Völker ins Herz getroffen hat, bildet die weithin sichtbare 
blutige Spur jener geheimen Machenschaften, die von Serbien aus ins 
Werk gesetzt und geleitet wurden. Diesem unerträglichen Treiben muß Ein- 
halt geboten, den unaufhörlichen Herausforderungen Serbiens ein Ende 
bereitet werden, soll die Ehre und Würde Meiner Monarchie unverletzt 
erhalten und ihre staatliche, wirtschaftliche und militärische Entwicklung vor 
beständigen Erschütterungen bewahrt bleiben. Vergebens hat Meine Re- 
gierung noch einen letzten Versuch unternommen, dieses Ziel mit friedlichen 
Mitteln zu erreichen, Serbien durch eine ernste Mahnung zur Umkehr zu 
bewegen. Serbien hat die maßvollen und gerechten Forderungen Meiner 
Regierung zurückgewiesen und es abgelehnt, jenen Pflichten nachzukommen, 
deren Erfüllung im Leben der Völker und Staaten die natürliche und not- 
wendige Grundlage des Friedens bildet. So muß Ich denn daran schreiten, 
mit Wassengewalt die unerläßlichen Bürgschaften zu schaffen, die Meinen 
Staaten die Ruhe im Innern und den dauernden Frieden nach außen 
sichern sollen. In dieser ernsten Stunde bin Ich Mir der ganzen Trag- 
weite Meines Entschlusses und Meiner Verantwortung vor dem Allmächtigen
	        
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