Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

32 Das Denischt Reith und seine einjelnen Glieder. (Januar 15.) 
daß Preußen im Reiche zu kurz kommt. Meine Partei wird stets die un- 
vergänglichen Verdienste Preußens um das Reich würdigen und die historisch 
berechtigte Vormachtstellung Preußens im Reiche erhalten. Bei der engen 
Verbindung Preußens und des Reichs fördern wir gleichzeitig den Reichs- 
gedanken. Dabei findet das treue Festhalten der übrigen Bundesstaaten an 
dem Reiche unsere Anerkennung. Preußen hat die Pflicht, voran zu sein 
und voran zu bleiben. Von diesem Sinne mögen unsere parlamentarischen 
Arbeiten geleitet sein. Alle nationalen Kräfte müssen den Autoritäts- 
gedanken und das Staatsgebäude stützen. Mögen die Zerwürfnisse unter 
den Parteien dieses hohe Ziel nicht gefährden. Das ist unser aufrichtiger 
vaterländischer Wunsch.“ 
Abg. Schiffer (Nl.): „Wir begrüßen mit Freude die Erklärung in 
der braunschweigischen Frage. Freilich hätten wir gewünscht und für nützlich 
und notwendig gehalten, daß diese Erklärung erheblich früher gekommen 
wäre. Dadurch wäre dem ganzen Lande manches Peinliche erspart worden. 
Wir begrüßen es, daß mit dieser Erklärung der letzte Schatten eines Miß- 
verständnisses und einer peinlichen Beklemmung zwischen dem preußischen 
Volk und dem Fürsten eines benachbarten Bundesstaates, der zugleich der 
Schwiegersohn des Kaisers ist, verwischt ist. Daß ein solcher Schatten be- 
stand, solange dieses erlösende Wort fehlte, können wir nicht leugnen. Wenn 
aber in dieser Sache Angriffe gegen die nationalliberale Partei erhoben 
wurden, so ist das nicht berechtigt. Unsere Besorgnisse sind nur gerecht- 
fertigt worden durch die jetzige Gegenerklärung der Welfenpartei. Wir 
können nur wünschen, daß solche Bestrebungen immer in dieser Weise zurück- 
gewiesen werden. Eine solche Erklärung haben wir gewünscht, nicht um 
Zweifel zu beheben, die wir nicht hatten, sondern um der Welfenpartei die 
letzte Waffe abzunehmen. Mit der Erklärung des Ministerpräsidenten ist die 
Sache materiell erledigt. Mit dem Abg. v. Heydebrand stimmen wir darin 
überein, daß auf dem Wege der Belastung des Besitzes nicht weiter geschritten 
werden kann. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß neue Bedürfnisse an 
das Reich herantreten, und dann werden andere Wege einzuschlagen sein. 
Ich nehme an, daß dann ernsthaft die Einführung von Monopolen in 
Auosicht genommen wird.“ Redner setzt sich im Anschluß an Aeußerungen 
des Abg. v. Heydebrand mit der konservativen Partei auseinander. Er 
wendet sich dann gegen Aeußerungen aus dem Herrenhause. Er bemerkt: 
„Wenn zum Auedruck gekommen ist, daß sich die Politik des Herrenhauses 
nicht um das Volk und seine Politik zu kümmern habe, so ist das das 
Bedenklichste gerade vom Standpunkte der Allgemeinheit. Wir verlangen 
vom Volke Opfer an Gut und Blut in Hülle und Fülle, Vermögen und 
Abgaben an den Staat, und da sollen wir es lediglich als ein Objekt be- 
handeln? Daß wir um die Seele des Volkes ringen, ist die schönste öko- 
nomische Aufgabe, die ich kenne. Das alte Preußenlied sagt, daß der Fürsten- 
thron auf der Liebe des freien Mannes und, wie ich zusetze, auf der freien 
Liebe des freien Mannes beruht. Der ganze Ton scheint nicht im Einklang 
zu stehen für alle, die auf dem Boden der Verfassung und des Konstitutio- 
nalismus stehen.“ In weiterer Polemik mit den Konservativen äußert der 
Redner über das preußische Wahlrecht: „Der Ministerpräsident hat die 
neue Forderung der Einlösung des Königswortes zurückgewiesen. Mit der- 
selben Energie, wie wir am Reichstagswahlrecht festhalten, verlangen wir 
ein anderes Wahlrecht hier; dabei behalten wir uns freie Hand vor, wie 
wir es gestalten wollen. Wenn das Bedürfnis nicht so gründlich zutage 
tritt, so liegt das an ganz anderen Momenten, als der Minister sagte. 
Gerade das Umgekehrte ist richtig. Ein weiterer Widerstand auf diesem 
Gebiete wird nur eine Radikalisierung im Gefolge haben.“ In bezug auf
	        
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