Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

42 Bas Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.) 
Verhalten einzelner Presseorgane zu entschuldigen, ist sie der Ansicht, daß 
die bedauerlichen Vorgänge vermieden worden wären, wenn das unwürdige, 
die Bevölkerung verletzende und herausfordernde Benehmen eines jungen 
Offiziers seitens seiner Vorgesetzten sofort die entsprechende Remedur erhalten 
und letztere bekanntgegeben worden wäre. Sie ist ferner der Ansicht, daß 
der militärische Befehlshaber, auch wenn er sich zum selbständigen Eingreifen 
befugt erachtete, jedenfalls bei der in maßloser, das rechtliche Empfinden 
verletzender Weise erfolgten Ausführung sich schwere Ueberschreitungen hat 
zu schulden kommen lassen. Sie ist endlich der Ansicht, daß gegen die 
Wiederholung solcher Vorgänge eine sichere Garantie gegeben werden muß, 
insbesondere auch dafür, daß die in Elsaß-Lothringen zu Recht bestehende 
Gesetzgebung von den in Elsaß-Lothringen garnisonierenden Militärbehörden 
genau beachtet wird. Die Kammer ersucht die Regierung, an maßgebender 
Stelle eine Entscheidung in diesem Sinne herbeizuführen.“ Die Resolution 
trägt die Unterschriften von 18 Abgeordneten, darunter die Namen Dr. Back, 
Dr. Curtius, Dr. Schwander, Dr. Vonderscheer und Frhr. Dr. Zorn v. Bulach. 
Nach längerer Debatte, in der Prof. Dr. Laband die Gesetzmäßig- 
keit der Kabinettsorder von 1820 nachzuweisen sucht, wird die Resolution 
mit 33 Stimmen gegen die Stimmen des Präsidenten der Reichseisenbahnen 
Fritsch, des Professors Laband und des Generals v. Moßner angenommen. 
Iustizrat Dr. Ruland und der Präsident des Oberlandesgerichts Dr. Molitor 
enthalten sich der Abstimmung. 
20. Januar. (Deutscher Reichstag.) In der Beratung 
des Etats des Reichsamts des Innern hält Staatssekretär Dr. Del- 
brück über die Sozial= und Wirtschaftspolitik des Reichs folgende 
Rede von programmatischer Bedeutung: 
„Als ich mich auf die Verhandlung meines Etats in diesem Hause 
vorbereitete, habe ich 197 einzelne Fragen bearbeiten lassen und selbst 
durchgearbeitet, von denen ich mit Rücksicht auf die Verhandlungen dieses 
Hauses im vergangenen Jahre, mit Rücksicht auf die hier angenommenen 
Resolutionen, auf Aeußerungen in der Presse, auf Anträge von Zweck- 
verbänden usw. annahm, daß sie hier zur Sprache kommen könnten. Durch 
diese Fragen ziehen sich wie ein roter Faden zwei Hauptfragen: die Fragen 
der Sozialpolitik und der Wirtschaftspolitik. Diese Fragen möchte 
ich heute in ihrem inneren Zusammenhang erörtern. Wir sind mit der 
Verabschiedung der Reichsversicherungsordnung in unserer sozialpolitischen 
Gesetzgebung zu einem gewissen Abschluß gelangt. Die Reichsversicherungs- 
ordnung hat, das antworte ich auf den Zuruf „Rückschritt“, eine erhebliche 
Ausdehnung unserer Versicherung mit sich gebracht. Wir haben bis zu einem 
gewissen Abschluß gebracht: die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, 
die Invaliden- und Altersversicherung. Hinzugetreten ist die Hinterbliebenen- 
versicherung. Die Reichsversicherungsordnung hat außerordentliche Fort- 
schritte gemacht. Mit der Einführung der Versicherungs- und Oberversiche- 
rungsämter ist die Selbstverwaltung auf dem Gebiete unserer sozialpoli- 
tischen Versicherung wesentlich ausgedehnt worden. Wir haben Beamte 
gewonnen, die sich in sozialpolitische Fragen vielmehr vertiefen, als es bis- 
her geschehen ist. Die Durchführung der organisatorischen Verwaltungs- 
neuerungen erfordert natürlich Zeit. Daß unter diesen Umständen auf dem 
Gebiete der Sozialpolitik, insbesondere auf dem Gebiet der sozialpolitischen 
Versicherung, eine Pause eintreten muß, ist selbstverständlich. Was zu tun bleibt, 
ist nicht gesetzgeberische Arbeit, denn auf jedem Gebiet erschöpft sich diese Mög- 
lichkeit einmal, sondern die Detailarbeit der Behörden draußen. Wir haben
	        
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