Des Vertiche Reich und seine einjelnen Glieder. (Januar 20.) 45
ständige Sozialpolitik, ich lege den Ausdruck auf das Wort verständig, ist
eine Grundsäule für das Deutsche Reich, die es niemals ungestraft ver-
lassen kann. (Zurufe bei den Sd.) Ich sage, eine verständige Sozialpolitik!
Umruhe und lebhafte Zurufe bei den Sd.) Lassen Sie mich doch, bitte,
ausreden. Wenn ich von einer verständigen Sozialpolitik gesprochen habe,
so verstehe ich darunter eine solche, die nicht nur dem Arbeitnehmer,
sondern auch dem Arbeitgeber gibt, was ihm zusteht. (Lebhafter Beifall
und Sehr richtig!) Ich verstehe ferner eine solche darunter, die auch dem
A:beitgeber das Maß von wirtschaftlicher und, ich möchte sagen, moralischer
Ellbogenfreiheit gibt, das notwendig ist, um die großen Aufgaben zu er-
füllen, die er bisher erfüllt hat und in viel größerem Maße wird erfüllen
müssen, wenn wir die hervorragende Stellung in der Welt behalten wollen,
auf der zu stehen wir alle stolz sind. Eine verständige Sozialpolitik muß
in den Grenzen des wirtschaftlich Möglichen bleiben. Die Betätigung auf
sozialvolitischem Gebiet muß im Einklang stehen mit der allgemeinen Wirt-
schaftsvolitik. Das ist keine Frage. (Lärm bei den Sd.) Sie werden mir
doch zugeben, daß man anderer Meinung sein kann wie Sie (zu den Sd.
gewendet). Es ist geradezu Pflicht der Regierung, die Dinge anders zu
deurteilen wie Sie (zu den Sd.), weil wir nicht das Wohl einer einzelnen
Partei im Auge haben. (Lebhafter Beifall bei den bürgerlichen Parteien,
Lärm und Widerspruch bei den Sd., Glocke des Präsidenten.) Ob Sie mich
einen Knecht der Unternehmer nennen oder nicht, das ist mir ganz gleich-
gültig. Das wird mich nicht verhindern, das zu tun, was ich für meine
Uslicht halte. (Lebhafter Beifall.) Nach Erörterung aller dieser Dinge möchte
ich doch einmal die Frage untersuchen, ob unsere Sozialpolitik eine zu
große Last gewesen ist, und ob sie der Entwicklung unserer Industrie
schädlich gewesen ist. Im Zusammenhang damit werde ich auf eine all-
gemeine Würdigung unserer Wirtschaftspolitik eingehen im Hinblick auf die
Vorteile, die diese den Arbeitnehmern gebracht hat. Wenn man diese
Fragen lösen will, dann darf man sich nicht anlehnen an die wirtschaft-
lichen Ergebnisse dieses oder jenes einzelnen Jahres. Ein zuverlässiger
Gradmesser für die wirtschaftliche Bedeutung eines Landes ist sein Außen-
dandel. Lassen Sie mich einige statistische Zahlen geben. 1880 betrug die
Einfuhr 2,8 Milliarden, 1912 aber 10,69; die Ausfuhr betrug 1880 2,92,
dagegen 1912 8,5 Milliarden, 1913 wird sich nach den bisherigen Schätzungen
die Ausfuhr auf 10,7, die Einfuhr auf 10,1 Milliarden erhöhen, ein Ergebnis,
nicht nur interessant durch die Höhe seiner Zahlen, sondern auch wegen des
überaus günstigen Verhältnisses der Ein= und Ausfuhr, durch die überaus
günstige Gestaltung der Handels- und Zahlungsbilanz. Ein Vergleich der Ent-
wicklung Deutschlands mit derjenigen unserer größten Konkurrenzländer Frank-
reich, England und den Vereinigten Staaten von Amerika ergibt folgendes:
1891 stand Deutschland mit seinem Gesamthandel mit Frankreich und Amerika
auf einer Stufe und wurde von dem britischen Gesamthandel um 75 Proz.
übertroffen; heute hat Deutschland die beiden erstgenannten weit überflügelt
und ist dem britischen Gesamthandel nahegerückt. 1912 betrug die deutsche
Einfuhr 10691 Millionen, die Einfuhr in Frankreich 6584, in England
12914, in den Bereinigten Staaten 6800 Millionen. Die Ausfuhr betrug
in Deutschland 8956, in Frankreich 5370, in England 22858, in Amerika
15960 Millionen. Der britische Gesamthandel übertrifft hiernach den franzö-
ü#schen um 92, den amerikanischen um 44, den deutschen nur noch um 16 Proz.
Dieser Entwicklung entspricht auch diejenige des inneren Marktes; ein Bild
davon bietet die Steigerung der Produktion in Landwirtschaft und Bergbau,
sowie die Zunahme des Verkehrs. Es wurden 1880 geerntet 2,4 Millionen
Tonnen Weizen, 1912 4,4; 1880 5 Millionen Tonnen Roggen, 1912 11,6; 1880