Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das Derisqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.) 47 
Das ist ein schlagender Beweis für die gute Situation, in der sich trotz 
der Schatten der letzten Monate unsere gesamte Volkswirtschaft befindet. 
Daß die Konzentration des Goldes durch Thesaurierung, daß die Vermeh- 
rung des Goldschatzes auch gelegentlich ihre Nachteile gehabt hat, wie gestern 
der Abg. Dr. Mayer ausführte, kann wohl nicht bestritten werden. Aber 
gegenüber den von mir betonten Erfolgen muß das in den Kauf genommen 
werden. Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß der Mangel an 
Umlaufsmitteln, der sich zeitweilig gezeigt hat, nicht bloß mit der Auf- 
saugungspolitik der Reichsbank, sondern auch damit zusammenhängt, daß 
ein Teil der Kapitalisten das Gold aus dem Verkehr gezogen, sich teilweise 
auch nicht gescheut hat, damit ins Ausland zu gehen und gleichzeitig ein 
starkes Abströmen von fremden Zahlungsmitteln erfolgte. Ich möchte aus- 
drücklich feststellen, daß diese ausländischen Zahlungsmittel nicht zurück- 
geflossen sind und wahrscheinlich auch nicht zurückfließen werden, dal aber 
troßdem eine wesentliche Erleichterung unseres Geldmarktes erreicht worden 
ist, von der ich hoffen will, daß sie anhält. Nun ist behauptet worden, 
daß unter der jetzigen wirtschaftlichen Entwicklung des Deutschen Reiches 
die Löhne zwar gestiegen, aber nicht in zureichendem Maße gestiegen seien 
und daß diese Steigerung nicht Schritt gehalten habe mit der Steigerung 
der Lebensmittelpreise. Ich habe nun vorhin absichtlich die Daten über 
die Entwicklung des Volksvermögens gegeben, weil sie klar erweisen, daß 
doch auch der kleine Mann in Deutschland unter der jetzigen Wirtschafts- 
volitik in der Lage gewesen ist, sein Vermögen zu vermehren. Ich möchte jetzt 
mit einigen Sätzen auf die Entwicklung unserer Löhne eingehen. Ich 
babe schon früher darauf hingewiesen, daß die Steigerung der Löhne stärker 
war als die Steigerung der Lebensmittel, darauf, daß das, was der Ar- 
beiter für das aufgewendete Geld bekommt, erheblich viel mehr und besser 
geworden ist. Die Wohnungen sind besser geworden, trotz aller Mängel, 
über die wir uns bei einer anderen Gelegenheit unterhalten werden. Die 
ganze Lebenshaltung der Arbeiter ist eine bessere geworden. Einen gewissen 
Maßstab über die Bewegung der Löhne bieten die Lohnverhältnisse der 
Bediensteten im preußisch-hessischen Eisenbahndienst. So sind die Löhne 
der Hilfsbediensteten von 1895 bis 1912 um 61 Prozent gestiegen. Der 
Durchschnittslohn der hier in Frage kommenden Arbeiter ist um 75,6 Prozent 
gestiegen. Die Nettolöhne sämtlicher Bergarbeiter in Oberschlesien sind von 
675 Mark im Jahre 1895 gestiegen auf 1052 Mark im Jahre 1912. Aehn- 
lich ist die Steigerung im Dortmunder und im Saarrevier. Ob diese Löhne 
ausreichend sind oder nicht, lasse ich hier unerörtert. Ich stelle nur sest, 
daß eine Steigerung stattgefunden hat, und daß die Löhne die preußische 
Veranlagungsgrenze von 900 Mark überschreiten. Aehnliche Steigerungen 
sind bei den deutschen Seeleuten zu verzeichnen. Erheblich höhere Steige- 
rungen finden sich beispielsweise in den Zahlen der Firma Krupp. Ueber- 
all ergibt sich zweifellos eine erhebliche Steigerung der Löhne, nicht in 
leyter Linie bei den Buchdruckern. Das Kaiserlich Statistische Amt kommt 
bei einem Rückblick auf eine längere Jahresreihe zu dem Schluß, daß un- 
zweifelhaft die Löhne erheblich stärker gestiegen sind als die Lebensmittel- 
breise, wenn auch zeitweise eine Unterbrechung durch eine starke Preis- 
steigerung eingetreten ist. Selbst die gewerkschaftliche „Holzarbeiterzeitung“ 
hat einen solchen Fortschritt zugegeben. Sie hat zwar geschrieben, daß 
infolge der verkehrten Zoll- und Handelspolitik die Preise für notwendige 
Lebensmittel so gestiegen seien, daß das Steigen der Löhne damit nicht 
gleichen Schritt halte. Sie hat aber zugegeben, daß eine Hebung der 
Lebenshaltung unverkennbar sei. (Große Unruhe bei den Sd.) Ich stelle 
sest. daß ich ein Zitat, das Ihnen nicht paßt, nicht ohne Zwischenrufe ver-
	        
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