Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Grofbritunnien. (September 1.—5.) 571 
denn, daß wir, sobald Frankreich in Belgien eingefallen wäre, um Deutsch- 
land zu bekämpfen, gegen Frankreich Feindseligkeiten begonnen hätten? 
Hinter dem Rücken des Parlaments und des Volkes hat der englische 
Minister des Aeußern sich heimlich mit Frankreich abgesprochen und hat 
das geleugnet, als man ihn danach fragte. Darum steht nun England vor 
dem roten Verderben und der Verarmung, die der Krieg bringt. Verträge 
und Uebereinkünfte haben das republikanische Frankreich an das tyrannische 
Rußland gekettet und England an Frankreich. Die Aufklärung darüber 
wird nicht ausbleiben, und dann werden die verantwortlichen Männer 
zur Rechenschaft gezogen werden. Wir wünschen weder ein Wachsen des 
deutschen noch des russischen Militarismus; die Gefahr dieses Krieges ist, 
daß er den einen oder den andern fördert. England hat sich hinter Ruß- 
land gestellt, hinter die am meisten reaktionäre, verdorbene und unter- 
drückende Macht in Europa. Wenn Rußland seine Sucht nach Gebiets- 
vergrößerung befriedigen und seine Kosakenherrschaft ausbreiten kann, so 
werden Gesittung und Demokratie in große Gefahr kommen. Hat England 
dafür das Schwert gezogen? 
1. September. (Unterhaus.) Heftige Auseinandersetzungen 
wegen der Homerulefrage. 
Premierminister Asquith spricht in versöhnlichem Sinne und bean- 
tragt die Vertagung des Hauses bis zum 9. September. Die Regierung 
hoffe, in der nächsten Sitzung Vorschläge machen zu können, die allge- 
meine, wenn nicht vollständige Billigung fänden. Bonar Law unterstützt 
den Antrag. Redmond fordert energisch, daß die Homerulevorlage Gesetz 
würde, was auch immer aus der Zusatzvorlage würde. Balfour erwidert 
heftig, es sei unmöglich, die irische Frage ohne tiefe Bitterkeit zu erörtern, 
und es sollte daher nicht versucht werden. Asquith legt sich ins Mittel und 
beruhigt das Haus durch die feierliche persönliche Bitte, eine so gefährliche 
Erörterung fallen zu lassen. Er schließt mit den Worten: Laßt uns einig 
bleiben, solange wir können! 
4. September. Die Regierung gibt unter Vorbehalt ihrer 
gesetzmäßigen Rechte der Anregung der amerikanischen Regierung 
ihre Zustimmung, daß keine britischen Handelsschiffe, die, wenn auch 
nur zu Verteidigungszwecken, mit Kanonen ausgerüstet sind, ameri- 
kanische Häfen anlaufen sollen. 
4. September. Das englische Prisengericht hält seine erste 
Sitzung (seit 60 Jahren) ab. 
5. September. Der Minister des Außern und die Botschafter 
Frankreichs und Rußlands, von ihren Regierungen ordentlich er- 
mächtigt, unterzeichnen folgende Erklärung: 
Die britische, die fran zösische und die russische Regierung verpflichten 
sich gegenseitig, während des gegenwärtigen Krieges keinen Sonderfrieden 
abzuschließen. Die drei Regierungen kommen dahin überein, daß, wenn 
Friedensvorschläge zur Erörterung kommen, keiner der Verbündeten Friedens- 
vorschläge annehmen soll ohne vorherige Zustimmung eines jeden der an- 
dern Verbündeten. Im Vertrauen darauf haben die Unterzeichneten diese 
Erklärung mit Unterschrift und Siegel versehen. Gegeben zu London in 
dreifacher Ausfertigung am 5. September 1914.
	        
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