Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Erster Teil. (58a)

456 Veutsches Reich. (April 25.) 
zu nehmen. Anlaß zu dieser Aufforderung hat die Erklärung der soz. Partei 
gegeben, die sich in Wiederholung früherer Erklärungen für einen Frieden ohne 
nnexionen und Kriegsentschädigungen ausspricht (s. S. 419 f.). Von dieser 
Seite wünscht man, daß die Regierung sich diesen Inhalt der Resolution zu 
eigen macht. Die Gegenseite (s. S. 438 f.) verlangt, daß der Kanzler entschieden 
die soz. Erklärung bekämpft. Seit der Freigabe der Kriegszielerörterungen 
hat unsere Oeffentlichkeit die weitestgehende Möglichkeit, ihre Ansichten zum 
Ausdruck zu bringen. Die Grenze, innerhalb deren sie sich halten will, 
muß durch ihr vaterländisches Gewissen bestimmt werden. Die Regierung 
hat das, was von ihr über die Kriegsziele gesagt werden kann, mitgeteilt 
und kann gegenwärtig keine weiteren Erklärungen geben. Sie 
wird, unbeirrt durch das Drängen von beiden Seiten, den Weg weiter 
gehen, den ihr Gewissen und Verantwortung vor dem Lande vorschreiben. 
Ihre Aufgabe ist es, sobald als möglich den Krieg zu einem glücklichen 
Ende zu bringen. Dem stehen vor allem die wahnwitzigen Kriegsziel- 
sorderungen unserer westlichen Feinde entgegen. Die feindliche Presse schreibt 
unzweifelhaft unter strengen Bindungen. Aber trotzdem bleibt es doch be- 
merkenswert, daß sie weder in der Frage der Annexionen noch in der Frage 
der Kriegsentschädigungen die geringsten Abstriche von ihren unsinnigen 
Forderungen gemacht hat. Aus engl. und franz. Blättern kann man sich 
täglich davon überzeugen, daß die militärische Offensive mit einem Trommel- 
feuer auf der ganzen Pressefront begleitet wird. Lloyd George zieht die 
„Hindenburglinie“ am Rhein, und die franz. Blätter sonnen gio in dem 
Gedanken, daß Wilson ihnen helfen wird, die Rheingrenze zu gewinnen. 
Wir haben noch kein Wort amerik. Widerspruchs gehört. Auch in der Auf- 
stellung ihrer Entschädigungsideen sind die Franzosen nicht faul. 16 Mil- 
liarden jährlich hat sich der „Matin“ herausgerechnet. Das sind aber 
Bahlen, die von anderen Blättern längst überholt sind. In dem weitver- 
breiteten „Journal“ verurteilt jemand das deutsche Volk zu langjähriger 
Sklavenarbeit, damit Frankreich wirtschaftlich alles wieder hereinbringe, 
was es durch den Krieg verloren hat. Wir erinnern daran, daß dieser 
Gedanke schon vor einer Reihe von Monaten mit wissenschaftlichem Ernt 
in engl. Zeitschriften erörtert worden ist. Glauben die deutschen Soz., gegen 
diese Ideen unserer Feinde im Westen durch ihre Formulierungen aufzu- 
kommen? Sie werden Enttäuschungen erleben. Auch in Rußland, wo die 
Verhältnisse noch im Fluß sind, fehlt es keineswegs an Kriegszieläußerungen, 
in denen man den Einfluß der westlichen Bundesgenossen erkennt. Unsere 
Feinde sehen alles, was bei uns geschieht, daraufhin an, ob es zur Aus- 
munterung ihrer eigenen, schwer leidenden Bevölkerung ausgenutzt werden 
kann. Die Urheber der soz. Resolution haben dies bei ihrem Beschluß, 
durch den sie den Frieden fördern wollten, nicht mit in die Rechnung ein- 
gestellt. Wenn nun aber in einem Berliner Blatt von einem Abgrund ge- 
schrieben wird, vor dem wir stehen, und in den uns die soz. Partei hinein- 
reißen will, so kann diese Tonart nur Schaden anrichten. So stehen die 
Dinge in Deutschland nicht, und in solchem Lichte soll man sie nicht vor 
dem Ausland erscheinen lassen. Eine starke, zum Siege führende 
Politik verlangt Einheit im Innern, und in dem starken Willen 
zu siegreicher Verteidigung des Vaterlandes ist sie vorhanden. 
Ueber diese Erklärung sprechen die „Voss. Ztg.“ und die „Deutsche 
Tagesztg."“ ihr Bedauern aus. Die „Vossische Ztg.“ sagt zu der Be- 
merkung, daß die Regierung den Weg ihres Gewissens weiter gehen werde. 
Das Volk wolle gerade wissen, welches dieser Weg sei, aber unser leitender 
Staatsmann führe eben nicht, schare nicht durch seine Parole die öffent- 
liche Meinung um sich. Er verhindere geradezu, daß sich ein einheitlicher
	        
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