Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Eraukrtich. (September 29. —Oltober 4.) 447 
wurde Bolo verhaftet. Bolo hatte nach dunkeln Anfängen eine reiche Witwe 
geheiratet. Bolo ist Franzose und in Marseille geboren. 
Der „Voss. Ztg.“ wird dazu aus Genf gemeldet: Die Pariser Boulevard- 
presse berichtet in spaltenlangen Artikeln über die Abenteuergeschichte, über 
die „verräterische Geheimorganisation zur Beeinflussung Frankreichs“, deren 
Haupt der Pascha gewesen sein soll. Aus dem ganzen politischen Roman 
ist nur das Kapitel über die angeblichen Beziehungen Bolo Paschas zur 
deutschen Regierung von politischem und internationalem Interesse. 
Man behauptet, Bolo habe sein Vermögen von 10 Mill. Fr. vom Ausw. 
Amte bekommen. „Echo de Paris“ sagt, vom Staatssekretär Zimmermann 
sei das Geld durch Vermittlung der Deutschen Bank auf dem Umwege über 
den „Bankier“ Havenstein, einen Verwandten des Reichsbankpräsidenten, 
angewiesen worden. Der „Matin“ schreibt dagegen, von Herrn v. Jagow 
seien Bolo Pascha monatliche Ratenzahlungen von je einer Million Franken 
in einem geheimnisvollen Kassenschranke auf den Namen Abbas Hilmi, 
Erxkhediven von Aegypten, zugeschanzt worden. Beiden Zeitungen ist die 
Behauptung gemeinsam, Abbas Hilmi habe der deutschen Regierung die 
Anregung gegeben, Bolo zur Organisation einer Friedensbewegung in 
Frankreich zu verpflichten. Der „Matin“ enthüllt, daß Herr Bolo eines 
Tages in Rom von einem gewissen Zadik Pascha, dem Vertrauensmann 
des Khediven, die Kleinigkeit von 10 Mill. Fr. verlangte, um in der Schweiz 
eine Katholische Bank zu gründen, mit deren Geldern er unter dem Vor- 
wande religiöser Propaganda die französische Presse bestechen wollte. Man 
sieht auch hier vor allem, worauf es der franz. Regierung und Presse an- 
kommt: Verräter zu schaffen, die die Friedensbewegung kompromittieren. 
29. Sept. Abschl.e. Wirtschaftsabkommens m. d. Schweiz. (S. dort.) 
4. Okt. (Kammer.) Fall Bolo Pascha. Fall Malvy. 
Interpellationen über den Fall Bolo Pascha (s. o.) und andere Skandal- 
affären der letzten Wochen (s. S. 434 f.) geben Anlaß zu heftigen Auseinander- 
setzungen. Von besonderem Interesse ist die Verteidigungsrede des ehem. 
Ministers d. Innern Malvy (s. S. 435) gegen die Angriffe der royalistischen 
Presse. Vom lebhaften Beifall der ganzen Linken begrüßt, führt er aus: Es hat 
sich ein ernster Zwischenfall ereignet, den ich der Kammer unterbreiten muß. 
Der Präsident der Republik hat einen Brief des Direktors der „Action 
Francaise“ Léon Daudet erhalten und an den Ministerpräsidenten weiter- 
gegeben, der die Güte hatte, mir von seinem Inhalt Kenntnis zu geben. 
Dieser Brief enthält die dümmsten und die ungeheuerlichsten Anklagen gegen 
mich und wirft ein grelles Licht auf die Ziele dieses Blattes. Es ist mir 
unmöglich, Schweigen über diesen Brief zu beobachten. (Lebh. Beif.) Die 
Kammer muß ihn kennen lernen, und ich will vor der Oeffentlichkeit mich 
gegen diese heftigen Treibereien wehren. Ich bitte den Ministerpräsidenten 
diesen Brief zu verlesen. (Lebh. Zust.) 
Ministerpräsident Painlevé verliest sodann nach einigem Zögern auf 
den Wunsch des Hauses das Schriftstück. Es beginnt: „Ich wende mich an 
Sie, Herr Präsident, weil Sie wissen müssen, was schon für viele Leute 
kein Geheimnis mehr ist, und weil Sie eine große Rolle spielen und Frank- 
reich reiten können. Der frühere Minister des Innern Maloy ist ein Ver- 
räter. Er übt schon seit drei Jahren Verrat.“ Der Brief versichert weiterhin, 
daß Malvy mit Hilfe der Leute vom „Bonnet Rouge“ und der bekannten 
Maggi-Gesellschaft den Plan der Offensive am Chemin des Dames an Deutsch- 
land verraten habe, und daß er mit Hilfe der Polizei selbst im Juni letzten 
Jahres die verhängnisvollen Soldatenmeutereien an der Front organisiert 
habe. Der Brief fordert den Präsidenten zu einem schleunigen Eingreifen
	        
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