55 —_
nicht in dem Masse ausschlaggebend sein, wie eine gerechte
Beurteilung des Streitverhältnisses dies erfordert. Juristische
Fragen aber werden fast regelmässig den Anlass zu Ver-
fassungsstreitigkeiten geben und sie müssen nach festen Rechts-
grundsätzen, nicht nach politischen Rücksichten entschieden
werden. Eine definitive Erledigung würde bei jenem Ver-
fahren in vielen Fällen auch schon deshalb nicht zustande
kommen, weil oft Bundesrat und Reichstag in ihrer Entschei-
dung nicht übereinstimmen würden, indem, wie sich der Bundes-
rat — es ist schon oben darauf hingewiesen worden — auf
die Seite der Regierung, so der Reichstag sich auf die Seite
der Volksvertretung stellen würde, da jeder Teil die gegebenen
Falles gleichen Interessen einer gleichartigen Korporation ver-
vertreten würde. Käme aber ein gleichlautender Beschluss
von Bundesrat und Reichstag nicht zustande, so würde kein
Mittel zur Erledigung der Streitigkeit mehr gegeben sein; die
Verfassungsstreitigkeit würde unerledigt bleiben. Ein derartiges
Resultat aber würde, wie das Fortwuchern des Streites dem
Einzelstaate unter Umständen unersetzliche Nachteile eintragen
würde, so auch jedem gesunden Rechtsgefühl Hohn sprechen.
Schon die Möglichkeit derartiger Kollisionen muss ir concreto
dem Bundesrate Grund genug sein, einen anderen Weg der
Erledigung dem Reichstage vorzuschlagen. Es tritt hinzu die
Erwägung, dass „Recht nicht durch Vereinbarung geschaffen
wird; es ist da und es bedarf nur des Rechtskundigen, der
seine Wirkungen auf den konkreten Fall ausspricht«.%) Oder
wie v. Rönne”) treffend bemerkt: „Stets erscheint es als eine
Abnormität, dass der Gesetzgeber zugleich Richter sein soll
und dass die mit der betreffenden Landesvertretung im Streit
befangene Regierung selbst im Bundesrat vertreten sich der
Mitwirkung bei der Entscheidung zu enthalten nicht ver-
pflichtet ist“. Durch Vereinbarung zwischen zwei Körper-
schaften können zwar politische Streitigkeiten, nicht aber
Rechtsstreitigkeiten zum Austrag gebracht werden. Dazu be-
6) v. Martitz, Betrachtungen S. 31.
7) v. Rönne, Staatsrecht $. 222.