Die Reichsverfassung. 7
der Kraft des Gedankens zu beherrschen. Seine Seele tönte von jedem
Athemzuge der Menschheit. Seine classische Literatur ward vielseitiger,
kühner, menschlich freier, als die früher gereifte Bildung der Nachbar—
völker. Hundertundfünzig Jahre nach dem Untergange der alten deutschen
Cultur durfte Hölderlin das neue Deutschland also anreden:
O heilig Herz der Völker, o Vaterland!
Allduldend gleich der schweigenden Mutter Erd'
Und allverkannt, wenn schon aus deiner
Tiefe die Fremden ihr Bestes haben.
Zugleich erwachte wieder die staatenbildende Kraft der Nation. Aus
dem Durcheinander verrotteter Reichsformen und unfertiger Territorien
hob sich der junge preußische Staat empor. Von ihm ging fortan das
politische Leben Deutschlands aus. Wie einst fast um ein Jahrtausend
zuvor die Krone von Wessex alle Königreiche der Angelsachsen zum Staate
von England vereinigte, wie das Königthum der Franzosen von der Isle
de France aus, das ganze Mittelalter hindurch, die Theilstaaten der
Barone und Communen eroberte und bändigte, so hat die Monarchie
der brandenburgisch-preußischen Marken der zerrissenen deutschen Nation
wieder ein Vaterland geschaffen. Das harte Ringen um die Anfänge
der Staatseinheit gelingt gemeinhin nur der derben bildsamen Lebens-
kraft jugendlicher Völker; hier aber vollzog es sich im hellen Mittagslichte
der neuen Zeit, gegen den Widerstand des gesammten Welttheils, im
Kampfe mit den legitimen Gewalten des heiligen Reichs und den unzäh-
ligen durch eine alte Geschichte verhärteten Gegensätzen des vielgestaltigen
deutschen Lebens. Es war die schwerste Einheitsbewegung, die Europa
erlebte, und nur der letzte, volle, durchschlagende Erfolg hat endlich die
widerwillige Welt gezwungen, an das so oft aussichtslos gescholtene Werk
zu glauben. —
Von Kaiser und Reich konnte die Neugestaltung des deutschen Staates
nicht mehr ausgehen. Die alte längst schon brüchige Reichsverfassung
wurde seit dem Eindringen des Protestantismus zu einer häßlichen Lüge.
Die letzten Folgen alles großen menschlichen Thuns bleiben dem Thäter
selber verhüllt. Wie Martin Luther, da er von der Kirche des Mittel-
alters sich löste, ahnungslos die Bahn brach für die weltliche Wissenschaft
unserer Tage, die seinen frommen Sinn empören würde: so hat er auch,
indem er den Staat von der Vormundschaft der Kirche befreite, die
Wurzeln jenes römischen Kaiserthums untergraben, das er als treuer
Unterthan verehrte. Sobald die Mehrheit der Nation der evangelischen
Lehre sich zuwandte, ward die theokratische Kaiserwürde ebenso unhaltbar
wie ihre Stütze, das geistliche Fürstenthum. Der gekrönte Schirmvogt
und die Bischöfe der alten Kirche durften nicht herrschen über ketzerischem
Volke. Darum wurde schon in den ersten Jahren der Reformation, auf
dem Reichstage von 1525, die Forderung laut, daß die geistlichen Gebiete