Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Auflösung des Reichs. 235 
lesen wurde, da waren im Reichstage fast allein die Gesandten der Rhein— 
bundshöfe, die den alten deutschen Staat vernichtet hatten, zugegen. Ohne 
weitere Verhandlungen ging der Reichstag auseinander. Darauf legte 
Kaiser Franz durch ein kühl und farblos gehaltenes Manifest vom 6. August 
die deutsche Krone nieder und erklärte zugleich, dem Rechte zuwider, „das 
reichsoberhauptliche Amt und Würde“ für erloschen, sein Kaiserthum Oester— 
reich für ledig aller Reichspflichten. Die Verbindung zwischen Deutsch— 
land und den kaiserlichen Erblanden war aber seit Langem so locker, daß 
die förmliche Trennung in den inneren Zuständen Oesterreichs gar keine 
Spuren zurückließ. Durch einen Staatsstreich des letzten Habsburger— 
kaisers ging also jene Krone zu Grunde, die seit tausend Jahren mit den 
stolzesten und den schmachvollsten Erinnerungen des deutschen Volkes ver— 
wachsen war; der Heldenruhm der Ottonen haftete an ihr, aber auch der 
Fluch des dreißigjährigen Krieges und die lächerliche Schande von Roßbach. 
Den ganzen Umrkreis irdischer Schicksale hatte sie durchmessen, aus einer 
Zierde Deutschlands war sie zu einem widrigen Zerrbilde geworden, und 
als sie endlich zusammenbrach, da schien es als ob ein Gespenst versänke. 
Die Nation blieb stumm und kalt; erst als sie die Schmach der kaiser- 
losen Zeit von Grund aus gekostet hatte, ist der Traum von Kaiser und 
Reich wieder lebendig geworden in deutschen Herzen. 
Im Lager des Bonapartismus lärmte die freche Schadenfreude. Die 
Mainzer Zeitung schrieb: „Es ist kein Deutschland mehr. Was man für 
Anstrengungen einer gegen ihre Auflösung kämpfenden Nation zu halten 
versucht werden könnte, sind nur Klagen weniger Menschen an dem Grabe 
eines Volkes, das sie überlebt haben. Deutschland ist nicht heute erst 
untergegangen. Was der Geschichte der Völker Inhalt und Leben giebt, 
ist der Geist einiger größeren hervorragenden Menschen“ — worauf dann 
die übliche Kniebeugung vor dem Helden des Jahrhunderts folgte. Im 
Oberlande und am Rhein war die Meinung weit verbreitet, daß nur 
Englands Gold und Oesterreichs Uebermuth den jüngsten Krieg und den 
Untergang des Kaiserthums verschuldet habe; im Norden aber kannte die 
Masse das Reich kaum dem Namen nach, den Ernst der Zeit hatte sie 
noch gar nicht empfunden. Gedeckt durch die große Armee nahmen die 
Fürsten des Rheinbundes ihre Beute in Besitz, und wieder wie vor drei 
Jahren ließ das Volk leise klagend Alles über sich ergehen. Alle rhein- 
bündischen Höfe meinten sich kraft ihrer neuen Souveränität berechtigt 
die letzten Trümmer der alten ständischen Rechte zu zerstören; das napo- 
leonische Machtwort c'est commandé par les circonstances rechtfertigte 
jede Gewaltthat. Friedrich von Württemberg ließ gleich nach der Er- 
werbung der Königskrone dem Landtagsausschusse die Schlüssel zu der 
ständischen Kasse abfordern und beseitigte die alte von den tapferen Schwaben 
in dreihundertjährigen Kämpfen vertheidigte Landesverfassung, die einzige 
lebenskräftige im deutschen Süden, als eine „nicht mehr in die itzige
	        
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