258 J. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
In dem unglücklichen Grenzlande erneuerten sich die Schrecken des sieben—
jährigen Krieges. Bald wurde die zuchtlose Roheit der russischen Freunde
dem ausgeplünderten preußischen Landmanne noch verhaßter als die Wuth
des Feindes; dazu die kopflose Heeresleitung der Russen und der unerträg-
liche Uebermuth ihrer Offiziere gegen das tapfere kleine preußische Corps des
Generals Lestocq. Trotzdem hat dieser Feldzug, wie er sich viele Monate
lang unentschieden durch die verödeten Ebenen Polens und Preußens
fortschleppte, zum ersten male die feste Siegeszuversicht des napoleonischen
Heeres in's Wanken gebracht. Der an rasche Erfolge und reiche Beute, an
das Wohlleben der Weinlande des Südens gewöhnte Soldat begann zu
murren und fragte, ob der Unersättliche des Schlachtens gar kein Ende
finde. Mehrere Wochen hindurch vertheidigte Lestocq's Heertheil mit alt-
preußischer Zähigkeit die Weichselübergänge im Kulmerlande, und als er end-
lich zu der russischen Armee nach Osten zurückgerufen wurde, da gaben diese
armen Trümmer des preußischen Heeres den Ausschlag in der ersten Schlacht,
welche der Sieggewohnte nicht gewann. Am 7. und 8. Februar 1807
versuchte Napoleon bei Eylau durch einen überwältigenden Angriff das
Heer der Verbündeten ostwärts zu drängen. Schon war am zweiten
Schlachttage der linke Flügel der Russen nach mörderischem Kampfe ge-
worfen; da erkannte Scharnhorst's Feldherrnblick die entscheidende Stunde,
ließ die Truppen Lestocq's, die nach anstrengendem Marsche soeben erst auf
dem äußersten rechten Flügel der Verbündeten eingetroffen waren, gegen
das Centrum einschwenken, und endlich wieder schien über den Deutschen
der Glücksstern der fridericianischen Tage zu glänzen, als das kleine
preußische Corps mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen durch die
fliehenden Russen hindurch gegen den Wald von Kutschitten vorbrach und
dann weiter über Anklappen hinaus die Feinde vor sich hertrieb.
Der Angriff der Franzosen war gescheitert. Allen seinen Gewohn-
heiten zuwider mußte der Imperator nach der unentschiedenen Schlacht
die Winterquartiere beziehen, und so gewaltig war der Eindruck dieses
ersten Mißerfolges, daß Napoleon alsbald nach dem Kampfe mit neuen
Friedensvorschlägen sich dem Könige näherte. Das sei der schönste Augen-
blick seines Lebens, schrieb er schmeichelnd und drohend; die preußische
Nation müsse wiederhergestellt werden als ein Schutzwall zwischen Ruß-
land und Frankreich, sei es unter dem Hause Brandenburg oder unter
irgend einem anderen Fürstengeschlechte; alle Länder diesseits der Elbe
wolle er zurückgeben, an die Polen denke er nicht mehr seit er sie kenne.
Aber allzu unverkennbar war doch die Absicht des Versuchers, Preußen
von seinem Verbündeten zu trennen, um dann nach der Niederwerfung
Rußlands den von aller Welt verlassenen König auf's Neue zu demüthigen.
Friedrich Wilhelm schwankte keinen Augenblick, wies die französischen
Zumuthungen entschieden zurück. Erst im Unglück kamen die passiven
Tugenden der Treue und der Ausdauer, worin die Stärke seines Charakters