714 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
wie Börne und mit feinerem Verständniß, und auch er überhäufte das
Land seiner Liebe unaufhörlich mit den Schmähreden jüdischen Hohnes.
Die radicale Jugend fand es witzig, wenn er ihr die freche Albernheit
ins Gesicht warf: der Engländer liebe die Freiheit wie sein rechtmäßiges
Weib, der Franzose wie seine Braut, der Deutsche wie seine alte Groß-
mutter.
Wie Börne ließ auch Heine sich taufen, aus verächtlichen Gründen
und ohne jeden Erfolg; die duldsame öffentliche Meinung aber ließ es sich
wohl gefallen, daß diese beiden abtrünnigen Juden mit ihrem „großen
Judenschmerze“ prunkten. Heine haßte das Christenthum noch weit ingrim-
miger als Börne. „Es giebt schmutzige Ideenfamilien — schrieb er einmal.
Zertritt man eine dieser Ideenwanzen, so läßt sie einen Gestank zurück,
der jahrtausendelang riechbar ist. Eine solche ist das Christenthum, das
schon vor achtzehnhundert Jahren zertreten worden und das uns armen
Juden seit der Zeit noch immer die Luft verpestet.“ Und doch empfand
er zuweilen die Macht der christlichen Liebe und den künstlerischen Reiz
des katholischen Cultus; das himmlische Lächeln eines Madonnenbildes
konnte ihn ebenso entzücken wie das geheimnißvolle Licht der Sabbath-
lampe. Während große Künstler mit den Jahren sich läutern, sank er,
haltlos und friedlos, immer tiefer herab zur gemeinen Spötterei. Sein
Evangelium der Lebenslust, das er in seiner Jugend noch durch den Cultus
der Schönheit geadelt hatte, verflachte und vergröberte sich zu einer
schmutzigen und prosaischen Religion des Fleisches, und bald setzte er
seiner Selbstverhöhnung die Krone auf durch das behagliche Geständniß
Selten habt Ihr mich verstanden,
Selten auch verstand ich Euch.
Nur wo wir im Koth uns fanden,
Da verstanden wir uns gleich!
Mit Börne und Heine, mit dem Einbruch des Judenthums, kündigte
sich eine neue literarische Epoche an, die zum Glück nicht lange währen
sollte, die häößlichste und unfruchtbarste Zeit unserer neuen Literatur-
geschichte. Seit Lessing's Tagen hat keine deutsche Dichterschule so viel
Unfrieden gesät und so wenig Dauerndes geschaffen wie die radicale
Feuilleton-Poesie der dreißiger Jahre. —
Auf diese Welt der Kämpfe und der Gegensätze fiel noch der prächtige
Abendsonnenschein unserer alten Philosophie. Durch anderthalb Jahr-
zehnte, vom Ende der zwanziger bis zum Anfang der vierziger Jahre,
behauptete die Schule Hegel's im deutschen Leben eine Macht wie nur die
Sophisten in Athen; bis zum Uebermaße erfüllte sich was Stein vor
Jahren als die nothwendige Folge der politischen Unfreiheit vorausgesagt:
die speculativen Wissenschaften erlangten einen usurpirten Werth. Aber