Der erste „Blutige“.
20. Januar.
Noch weiß ich nicht, ob Helfferich wegen formeller Be-
leidigung des Reichsfinanzministers zu ein paar hundert
Mark Geldstrafe verurteilt oder freigesprochen werden wird:
aber das weiß ich, daß der Prozeß für Historiker und Nicht-
bistoriker ein „lückenloses“ Charakter- und Lebensbild Erz-
bergers liefern wird, fixiert für alle Zeiten durch eidliche
Aussagen.
Helfferich läßt nicht locker. In einer zweistündigen,
durchaus beherrschten Anklagerede legt er die Amrisse fest, in
die nachher das Mosaik der Zeugenaussagen eingefügt werden
soll; einer Anklagerede voll Wucht, die dem Reichsfinanz-
minister allmählich die Schläfen mit fieberischer Röte füllt.
Es ist ein ästhetischer Genuß, mitanhören zu dürfen, mit welch
marmorner Ruhe der Reichsanwalt des deutschen Volkes
gegen den Reichsverderber seine Sätze schleudert, den um
Einschränkung bittenden Vorsitzenden stets wieder mit welt-
männischer Eleganz unterläuft und schließlich doch jeden Satz
angebracht hat, den er anbringen wollte, ja sogar noch mehr.
Noch nie ist Schärferes gesagt worden; und noch nie so
beherrscht.
Man denkt während der Rede an Dantes Inferno, man
sieht den nackenden Erzberger in Gedanken auf geschliffenem
Rasiermesser zum Abgrund rutschen. Seine Entwicklung vom
bettelarmen katholischen Volksschullehrer von 1903 bis zum
Großverdiener der Kriegsjahre, seine Hpbris und der Lug
und Trug dieser ganzen Entwicklung, die leider auch für Volk
und Reich ein Schicksal war, ersteht vor uns.
Und Helfferich lüftet erst einen Zipfel des Vorhangs. Er
will noch viel mehr beweisen, als er bisher überhaupt
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