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sich hätte abgeben sollen; nur die Abweichungen vom Gewöhnlichen
werden notiert, und diese Nolizen geben uns eben für das Gewöhnliche
und Rechtmäßige wertvolle Winke; aus umständlichen Berichten von Er-
eignissen, namentlich der umgebenden Natur, die uns heutigen Menschen
alltäglich und weder schreckhaft noch wunderbar vorkommen, ermöglichen
sich Rückschlüsse auf die ganz andere Denkungsart eines teils naiven, teils
kirchlich-beschränkten Zeitalters; endlich aber sind es die auf uns ge-
kommenen Urkunden von Belehmmgen, Schenkungen, sonstigem Besitz-
wechsel, von Installierungen in Amter, von übertragenen Zöllen und
anderen Gerechtsamen, die reiche Ausbeute bieten, freilich oft noch
reichere Anregung zu — Vermutungen. Bei dem engen Zusammen-
hang Meißens und Thüringens mit dem übrigen Deutschland, auf das
beide Länder ja durchaus in ihrer kulturellen Entwickelung angewiesen
waren, darf auf die Sittengeschichte der gleichzeitig lebenden Deutschen
ohne Bedenken öfter Bezug genommen werden.
Es ist gleich eingangs dieses Buches auf die berechtigte Scheidung
thüringischer und meißnischer Entwickelungsgeschichte wegen des Unter-
schiedes der geographischen Verhältnisse hingewiesen worden. Das gilt
auch für die Geschichte der Verfassung. Als unter den Nachfolgerm
Karls des Großen und unter den sächsischen Kaisern die Deutschen
bis zur Elbe und dann bis zur Oder vordrangen, legten sie ihre
neue Herrschaft nicht einem stammverwandten Volke auf, wie das seiner
Zeit die Franken bei den Thüringern gethan hatten, sondern hier gelangte
das Verhältnis zwischen Sieger und Besiegtem infolge der Rasse-
berschiedenheit schroffer zum Ausdruck; dazu kam anfangs die immer
von den Unterworfenen in den ersten Jahrzehnten unterhaltene Ver-
bindung mit ihren Stammesgenossen im Osten und Süden, mit den
Polen und Böhmen, ja, mit den ihnen sonst nicht verwandten
Ungarn. So mußte notwendigerweise die Stellung eines Markgrafen
in der Mark Meißen eine vor allen andern Dingen militärische sein.
Das gab ihm von Anfang an eine Bedeutung, die derjenigen der
Herzöge gleich kam. Nicht ohne Grund hören wir die Burcharde,
Geros, Ekkiharde, Ekberte als Herzöge neben ihrem Titel als Mark-
grafen nennen. So waren die meißnischen Markgrafen auch keines-
wegs, wie das in anderen, gesicherteren Gebieten der Fall war, dem
Stammesherzog, also in diesem Falle dem von Sachsen, untergeordnet,
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