290 Antritt der Regentschaft. 1857
die Einheit zur Zeit meines Sohnes oder meines Enkels sich
verwirklichen würde.
So stellte er denn diese deutschen Hoffnungen, welche
fortdauernd sein Herz bewegten und fortdauernd durch seinen
Rechtsinn fern gehalten wurden, der Zukunft anheim, und
wandte seine ganze Kraft den nächsten Sorgen, der Ver-
waltung seines Preußen, zu. Die rastlose Pflichttreue,
welche er hier bis zum letzten Athemzuge bewährte, bis
zu jenem ergreifenden Worte: ich habe keine Zeit, müde
zu sein — ruhte wie seine Furchtlosigkeit auf der religiösen
Grundstimmung seines Wesens. Vielleicht ohne den Aus-
spruch seines großen Vorfahren zu kennen, der sich den ersten
Diener des Staates nannte, hielt er den Herrscher von Gott
berufen, dem Wohle seines Volkes zu dienen. In diesem
Dienste war er streng, aber strenger gegen sich als gegen
jeden Andern. Die Geschäfte ergriff er mit unermüdlichem
Fleiße; was ihm früher gleichgültig gewesen, strebte er jetzt,
als zu seinem Amte gehörig, zu lernen, und mit welchem
Eifer hat er gelernt! Als die großs Reform unserer Justiz-
verfassung in Vorbereitung war, ließ er, der Siebenzigjährige,
sich noch einen Cursus über Encyklopädie der Rechtswissen-
schaft vortragen; gewiß nicht, sagte er, um die Männer des
Faches zu meistern, aber um die Belehrung über etwaige
Bedenken zu verstehen, und um doch einen Begriff davon zu
haben, was durch meine Unterschrift Gesetzeskraft erhalten
soll. Nach seinem Tode fand man unter seinen Papieren
zahlreiche engbeschriebene Bogen, bedeckt mit Auszügen aus
allen Abschnitten der ihm vorgelegten Entwürfe der Justiz=
gesetze, wodurch er Sinn und Bedeutung derselben sich klar
gemacht hatte. Im Vergleich mit seinem Bruder war ur-