Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

294 Antritt der Regentschaft. 1858 
verläugnung dazu, den Absichten des Bruders sich anzupassen. 
Er übte sie, rechtlich wie immer, in vollem Umfang. Daß 
er die bisherigen Minister ruhig ihres Amtes walten ließ, 
war selbstverständlich; wie weit er aber bis auf kleine Einzel- 
heiten in der Beobachtung der Regel ging, mag ein einziges 
Beispiel veranschaulichen. Ein übel beläumdeter Litterat, 
Namens Lindenberg, hatte kurz zuvor sich gehässiger Umtriebe 
gegen den Prinzen schuldig gemacht, der König aber hatte 
auf einflußreiche Empfehlung ihm ein kleines Amt im Posen'schen 
in Aussicht gestellt. Jetzt kam das Patent zur Vollziehung, 
und der Prinz gab seine Unterschrift, ohne die Miene zu 
wechseln. 
Zu Neujahr 1858 wurde die Stellvertretung auf ein 
zweites Vierteljahr erstreckt, obgleich die Hoffnung auf eine 
Genesung des Königs eigentlich schon damals verschwunden 
war. Eine Sitzung des Landtags stand nahe bevor, und 
der Justizminister Simons erwog, ob eine so lange fortgesetzte 
Stellvertretung verfassungsmäßig sei, und nicht die von der 
Verfassung für den Fall dauernder Verhinderung des Königs 
vorgeschriebene Regentschaft eintreten müsse. Allerdings 
wußte man, daß am Hofe des Königs in Sanssouci gegen 
eine solche Maaßregel ein tiefer Widerwille herrschte. Die 
Königin Elisabeth, welche ihren Gemahl mit aufopfernder 
Hingebung pflegte, fürchtete davon einen üblen Eindruck auf 
den Zustand des Kranken. Die Führer der Kreuzzeitungs- 
partei, bis dahin die vertrauten Freunde des Königs, die 
Gerlach, Uhden, Götze, besorgten unter einer selbständigen 
Verwaltung des Prinzen einen Umschwung der Politik und 
den Verlust ihres Einflusses. Es hieß dort, das sei ein 
schlechter Royalist, welcher dem Könige die Befugniß streitig
	        
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