1859 Preußische Unterhandlung in Wien. 323
112000 Mann über den Tessin in das piemontesische Gebiet
ein, und da an diesem Tage erst eine kleine französische
Schaar in Piemont angelangt war, glaubte die Welt, er
werde in kurzer Frist das halb so starke sardinische Heer
überrennen, Turin einnehmen, die Alpenpässe sperren. Aber
nichts der Art geschah. Nachdem er die nächste piemontesische
Provinz, die Lomellina, besetzt hatte, blieb er Woche auf
Woche ruhig stehen, wie wenn er keine andere Aufgabe hätte,
als dort die Ankunft der Franzosen zu brüderlicher Um-
armung abzuwarten. Der Prinz-Regent beschloß in dieser
Zeit, den jüngern General Willisen nach Wien zu senden,
nicht gerade zum Abschluß eines bindenden Vertrags, sondern
zum Meinungsaustausch über die von Preußen beabsichtigte
Vermittlung. Preußen würde dabei für die Erhaltung des
österreichischen Länderbesitzes in Italien eintreten, bedürfe
aber, um mit dem erforderlichen Gewichte wirken zu können,
der vollen Verfügung über die Streitkräfte des deutschen
Bundes, es wäre denn, daß in der That ein österreichisches
Heer die Deckung des Oberrheins übernehme, welchem dann
die süddeutschen Truppen zuzuweisen wären. Anfangs redeten
die Wiener Staatsmänner in sehr hohem Ton. Man habe
von den deutschen Bundesbrüdern etwas Besseres als eine
kühle Vermittlung erwartet. Es reiche nicht aus, daß Preußen
für Osterreichs Herrschaft in Lombardo-Venetien die Stimme
erhebe. Osterreich bedürfe auch die Erhaltung seiner Schutz-
verträge mit den italienischen Staaten; nicht bloß Sardinien
müsse unschädlich gemacht werden, sondern auch der freche
Pariser Usurpator gestürzt, und in Frankreich der legitime
König Heinrich V. wieder eingesetzt werden. Erst damit könne
für Europa der Segen allseitiger Ruhe und Ordnung zurück-
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