352 Deutsche Reformfragen. 1860
Standpunkt zu rechtfertigen. Indessen ging er auf eine Ver-
schiebung des Beschlusses und eine nochmalige Berathung
durch den Ausschuß ein, zu lebhaftem Verdrusse Usedom's,
der sich dafür rächte, indem er die von Schleinitz streng ver-
botene Veröffentlichung der Denkschrift vom 10. October
unter der Hand veranlaßte, und damit ein neues Aufwogen
der öffentlichen Meinung bewirkte. Die weitschichtigen Ver-
handlungen zwischen den deutschen Höfen, welche sich jetzt
durch lange Monate fortsetzten, brauchen wir nicht im Ein-
zelnen zu verfolgen. Die erneuerte Berathung im Ausschusse
des Bundestags lieferte dann in einem Vortrage vom
19. Januar 1860 folgendes Ergebniß. Wo die kurfürstliche
Regierung und die Stände einig geworden, gilt ihr Beschluß
für die betreffenden Artikel der Verfassung von 1852. Wo
keine Einigung erzielt worden, gilt der Text von 1852, jedoch
mit der Ausnahme, daß, wo die Stände eine nicht bundes-
widrige Bestimmung von 1831 beantragt haben, diese auf-
zunehmen ist. Dagegen sind die von der Regierung vor-
geschlagenen Anderungen ihrer Verfassung unstatthaft. Es
war als Vermittlungsvorschlag gemeint; als eine große Nach-
giebigkeit erschien es den Verfassern, daß sie trotz des Bundes-
beschlusses von 1852 eingeräumt hatten, es gebe doch in der
damals völlig verurtheilten Verfassung von 1831 bundes-
mäßige Bestandtheile. Nichts desto weniger aber war und
blieb der Ausschußantrag ein Werk constituirender Gewalt,
wie sie dem Bundestage nach dessen Grundgesetzen nicht
zustand. Ständische Vorschläge lagen dem Ausschusse nach
den letzten Erklärungen der hessischen Kammern überhaupt
nicht mehr vor; dem Verdicte des Ausschusses, daß diese
Erklärungen bedeutungslos seien, fehlte es an jedem Rechts-