452 Verfassungsstreit in Berlin und Frankfurt. 1862
der Regierung und der Parteien waren aufgeboten; hüben
und drüben pulsirte das Gefühl, daß man vor einer über
Preußens Zukunft weithin entscheidenden Krisis stehe; auf
der einen Seite die Auffassung, daß das Verfassungsleben in
Preußen zu Grunde gehen, und die Zeiten des beschränkten
Unterthanenverstandes wiederkehren würden, wenn in dieser
Sache nicht der Wille der Volksvertretung freie Bahn gewinne;
auf der andern die Überzeugung, daß mit dem Siege der
Majorität die constitutionell-monarchische sich in eine parla-
mentarische Regierung verwandeln, und hiemit die Selb-
ständigkeit der Krone verloren sein würde. Dazu auf der
einen Seite die stete Mahnung, kräftig in der hessischen und
holsteinischen, so wie in der Sache des Handelsvertrags und
der Bundesreform voranzuschreiten, und sich bei liberaler
Politik auf den jubelnden Beifall der deutschen Nation als
wirksame Waffe zur Bändigung fürstliches Eigendünkels zu
verlassen: auf der andern aber der Zorn über eine so kindische
Verblendung, welche an keinen bewaffneten Widerstand Däne-
marks, Osterreichs, Süddeutschlands glaube, und deshalb zu
Land und zu Wasser Preußen wehrlos zu machen im
Begriff stehe.
Eine nähere Vorführung des großen Redekampfs dürfen
wir uns ersparen, da über den seit drei Jahren verhandelten
Gegenstand keine neuen Gründe beigebracht wurden. Ein
Antrag Reichensperger's von der katholischen Fraction, die
Regierung zur Einbringung eines Gesuchs um Indemnität
für ihr bisheriges Verhalten aufzufordern, fand nicht eine
Stimme. Ein Vermittlungsantrag der Abgeordneten Staven-
hagen, Twesten und von Sybel (des Verfassers dieses Buchs)
auf Erhaltung der neuen Regimenter und Einführung der