Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

1862 Ernennung Bismarck's zum Ministerpräsidenten. 455 
mehr im Stande sein, bei der Aufrechthaltung der neuen 
Heeres-Organisation mitzuwirken. Der König selbst stand, 
wenn ich recht unterrichtet bin, in schweren Bedenken zwischen 
seinem Verfassungseide und seiner militärischen Überzeugung. 
Nach von der Heydt's Erklärungen wandte er sich an den 
Mann, den er längst als den Klügsten und Muthigsten seiner 
Staatsmänner kannte, dem er schon 1858, und dann wieder 
im letzten Mai einen Ministersessel hatte anvertrauen wollen: 
er entbot den in Biarritz sich erfrischenden Herrn von Bismarck 
nach Berlin. Bismarck folgte ungern; denn wohl niemals 
hat ein geborener Meister der Regierungskunst so wenig 
Ehrgeiz zur Ersteigung der höchsten Stufe gehabt. Aber 
sein Pflichtgefühl verbot ihm, sich dem Könige zu versagen. 
Am 19. September 1862 kam er in Berlin an; vier Tage 
später erfolgte der verhängnißvolle Beschluß des Hauses, und 
am 24. wurden Fürst Hohenlohe und Herr von der Heydt 
entlassen, und Bismarck, einstweilen ohne Portefeuille, zum 
provisorischen Präsidenten des Staatsministeriums ernannt. 
Niemand ahnte damals, daß mit diesem Tage in Wahrheit 
eine neue Aera für Preußen und Deutschland, und damit für 
Europa beginne. Denn wie viele Menschen wußten etwas 
von Bismarck's innerer Entwicklung seit 18512 Alle Welt 
sah in ihm den kecksten Vorkämpfer der feudalen Partei, den 
frechsten Gegner alles liberalen Strebens, den Redner, der 
alle großen Städte vom Erdboden hatte vertilgen wollen, 
der den Liberalen den drohenden Zuruf entgegengeschleudert 
hatte, das stolze Roß Borussia werde die parlamentarischen 
Sonntagsreiter in den Sand setzen. Sein Name steigerte 
die Aufregung der Gemüther in das Grenzenlose. Jetzt sei 
der letzte Schleier zerrissen; dieser märkische Junker, der einst
	        
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