34 Aufstieg
Seegeltung losstrebten und mit Zweck und Nutzen Schiffe bauen wollten;
und die politische Notwendigkeit, für die unaufhaltsam und reißend
anwachsenden deutschen Seeinteressen eine sie schützende Flotte zu
schaffen. Die Flotte erschien mir niemals als Selbstzweck, sondern stets
als eine Funktion der Seeinteressen. Ohne Seemacht blieb die deutsche
Weltgeltung wie ein Weichtier ohne Schale. Dem Handel mußte die
Flagge folgen, wie das andere, ältere Nationalstaaten längst begriffen
hatten, als es bei uns erst zu dämmern begann; wie die Fortnightly
Review 1893 bündig und richtig geschrieben hatte: „Der Handel er-
zeugt entweder eine Marine, welche stark genug ist, ihn zu schützen, oder
er geht in die Hände von fremden Kaufleuten über, welche solchen
Schutz genießen.“
Eine gewisse Sorg- und Ahnungslosigkeit, das Vorherrschen innerer
wirtschaftlicher und sozialer Händel verdunkelten der Masse des deut-
schen Volks noch diese Notwendigkeit. Der Kaiser hatte sie erkannt,
wozu ihm sein häufiger Aufenthalt in England, wo er sich wie seine
Geschwister halb zuhause fühlte, dienlich war. Indessen wurde das Be-
streben des Kaisers, den Sinn für Marineentwicklung zu wecken, be-
einträchtigt durch seine Neigung zu geräuschvollem und verfrühtem
weltpolitischem Auftreten, durch die vom Volk durchgespürte Schwierig-
keit für ihn, sich in der Welt der Wirklichkeiten zu bewegen. Der
Flottengedanke wurde im Volk noch vielfach mit Mißtrauen aufgenom-
men. Die Deutschen spürten, verwöhnt von dem Glück, in das die
Bismarcksche Reichsschöpfung und das plötzliche Umsichgreifen unserer
so lange zurückgestauten wirtschaftlichen Tüchtigkeit uns versetzt hatte,
noch nicht genügend, daß unsre Entfaltung auf dem breiten Rücken
des britischen Freihandels und der britischen Weltherrschaft sich auf
Widerruf vollzog. Dem Wachstum unsrer Industrie verdankten wir
das Wachstum unsrer physischen und materiellen Stärke. Wir nahmen
jährlich fast um eine Million Menschen zu, das heißt gewannen auf
dem unveränderlich engen Spielraum der heimischen Scholle alljährlich
etwas, das dem Zuwachs einer Provinz gleichkam, und dies alles be-
ruhte auf der Aufrechterhaltung unsres Ausfuhrhandels, der mangels
eigener Seemacht ausschließlich vom Belieben der Fremden, d. h. der
Konkurrenten abhing. Wir mußten nach Bismarck „entweder Waren
ausführen oder Menschen“, und es handelte sich bei dem Entschluß,
Seemacht zu bilden, letzten Endes um nichts anderes als um den