Full text: Auswahl für das Feld.

Sohne dieser Zeit nicht mehr gestattet, sich ein Staatsideal auf— 
zubauen nach seinem souveränen persönlichen Belieben. Je mehr 
uns ein freieres Staatswesen an die tägliche Erfüllung politischer 
Pflichten gewöhnt, je mehr wir unsere politischen Forderungen 
an den wirklichen Staat anknüpfen, desto uneigennütziger ver— 
zichten wir auf persönliches Besserwissen. Und wahrlich, es ge— 
reicht der Gegenwart nicht zur Schande, daß wir endlich die uns 
gemeinsamen Angelegenheiten auch durch gemeinsames Denken und 
Handeln fördern, daß wir willig unser Belieben dahin geben, wo 
es sich handelt, um unser Volk oder die Partei, von der wir das 
Heil des Staates erwarten. 
Dabei bleibt dem hervorragenden Talente noch immer ein weiter 
Spielraum; wir sind noch nicht so bettelhaft arm an begabten 
Menschen, wie das gedankenlose Gerede über unser Epigonentum 
behauptet. Denn daß die moderne Gesellschaft als ein Ganzes 
fortwährend erstaunlich fortschreite, wird nur ein Verblendeter 
leugnen; jeder Antrieb aber zu einer wirklichen Verbesserung geht 
nicht aus von der Masse, sondern entspringt aus einem einzelnen 
lichten Haupte. Sehr wenig dankbar freilich ist diese rastlose 
moderne Welt; denn wo immer ein heller Kopf einen guten, der 
Zeit gemäßen Gedanken gebiert, da bemächtigt sich seiner die ge— 
bildete Gesellschaft, verarbeitet ihn als ihr Eigentum, und rasch 
ist der Urheber vergessen. Darum soll, wer heute die Kraft in sich 
fühlt, emporzuragen über den Durchschnitt der Menschen, seine 
Seele frei halten von dem unmännlichen Gefühle der Verbitte- 
rung und Verkennung und sich fest stützen auf den freudigen 
Glauben edler Geister, auf den Glauben an die Unsterblichkeit 
nicht des Namens, sondern der Idee. — Ganz arm an eigen- 
artigen Naturen ist diese Zeit noch nicht. Auf weiten Gebieten 
der Wissenschaft und der Kunst tummelt sich noch ein wahrhaft 
ursprüngliches Schaffen, das den Stempel der modernen Gesittung 
auf der Stirn trägt. Und auch die Masse des Volkes ist noch 
keineswegs geneigt, als eine unterschiedslose, gleichdenkende und 
gleichgesittete Menge dahinzuleben. Wenn der Chinese und der 
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