66 I. Buch. Die Rechtssubjekte des völkerrechtlichen Staatenverbands.
$ 8. Die Staatsgewalt in ihrer inneren Selbständigkeit.
L Aus dem Grundgedanken des Völkerrechts ergibt sich die gegenseitige
Anerkennung der Selbständigkeit jedes Staates innerhalb seines Machtbereiches.
Die Umgrenzung dieses Machtbereiches wird räumlich gegeben durch das
Staatsgeblet, persönlich gegeben durch das Staatsvolk. Die selbständige
Staatsgewalt tritt uns daher völkerrechtlich entgegen einerseits als Gebiets-
hoheit, andererseits als Personalhohelit.
Staatsgewalt, imperium, ist stets Herrschergewalt, Befehls- und
Zwangsgewalt; sie kann also nur als Herrschaft über Menschen ge-
dacht werden, deren Beziehungen untereinander und zur Staatsgewalt
selbst rechtlich bestimmt werden. Das Nebeneinanderbestehen gleich-
berechtigter Staaten, deren Gesamtheit die Völkerrechtsgemeinschaft
ausmacht, ist aber nicht denkbar, ohne daß die Machtkreise der ein-
zelnen selbständigen Staatsgewalten gegeneinander abgegrenzt werden.
Die Abgrenzung erfolgt nach zwei verschiedenen, sich teilweise durch-
kreuzenden Gesichtspunkten.
1. Sie wird zunächst gegeben durch die Beziehung der Menschen
zum Staatsgebiet, ohne daß hier zwischen Staatsangehörigen und
Staatsfremden unterschieden würde. Demnach sind alle auf dem Ge-
biete eines Staates sich aufhaltenden Personen der Staatsgewalt
dieses Staates, seinen Gesetzen, seinen Gerichten, seinen Vollstreckungs-
beamten unterworfen. Die Beziehung zum Staatsgebiet wird aber auch
hergestellt durch dingliche Rechte an unbeweglichen Gütern,
die in dem Gebiete des Staates gelegen sind. Die Staatsgewalt erscheint
hier bei oberflächlicher Betrachtung als Herrschaft über Sachen; sie ist
aber in Wahrheit auch hier Herrschaft über Menschen, und zwar ohne
Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit wie auf deren Aufenthalt.
2. Sie wird ferner gegeben durch die Staatsangehörigkeit. '‘
Als Personalhoheit greift die Staatsgewalt hinaus über das Staats-
gebiet; ihre Befehle erreichen den Staatsbürger auch, während er im
Auslande sich aufhält; schützend begleitet ihn auch in die Fremde
die Staatsgewalt seines Heimatstaates. Es wäre mithin einseitig und
unrichtig, die Staatsgewalt lediglich als Gebietshoheit, als Territorial-
gewalt auffassen zu wollen. Das Band der Staatsangehörigkeit wird ge-
lockert, aber nicht gelöst durch die Überschreitung der Staatsgrenzen.
U. Die innere Selbständigkeit der Staatsgewalt äußert sich allen übrigen
Staaten gegenüber als Autonomie in Gesetzgebung, Rechtspflege, Verwaltung
innerhalb des dem Staate zustehenden Machtkreises.
Jedoch ist zu beachten:
1. In Ausübung seiner Autonomie darf der Staat nicht übersehen, daß
er nicht isoliert dasteht, sondern Glied einer großen Gemeinschaft gleichberech-
tigter Rechtsgenossen ist. Er hat daher Kollisionen mit der Autonomie
der anderen Staaten zu vermeiden.