84 Innere Politik. I. Buch.
unaufhaltsam wachsende Macht beruht zu einem großen Teil der RMimbus der Sozial-
demokratie. Auch in diesem Sinne enthält der Ausfall der ahlen von 1907 eine große
und dauernde Lehre.
Das Zusammenstehen von Konservativen und Liberalen in Haupt- und Stichwahl
bewirkte 1907 trotz des Anwachsens der sozialdemokratischen Stimmenzahl eine sehr
erhebliche Verminderung der sozialdemokratischen Mandate. Die Blockwahlen hatten
in dieser Hinsicht einen noch größeren Erfolg als die Kartellwahlen von 1887. Das Kartell
warf die sozialdemokratische Fraktion von 24 auf 11 Mandate zurück bei einem Anwachsen
der sozialdemokratischen Stimmen um fast ein Orittel. Der Block dezimierte die Zahl
der sozialdemokratischen Mandate von der im Jahre 1903 gewonnenen Zahl von 81
auf 43, während sich die sozialdemokratischen Stimmen gleichzeitig etwa um den sechsten
Teil vermehrten. Dabei gewannen in beiden Fällen dort das Kartell, hier der Block
die Mehrheit im Reichstag. Der sozialdemokratische Verlust wurde konservativer und
liberaler Gewinn. Der äußere Grund dieser Erscheinung ist der, daß in fast allen Wahl-
kreisen, die der Sozialdemokratie mit Erfolg bestritten werden können, Liberalismus
und Konservativismus so stark vertreten sind, daß sie vereint die Sozialdemokratie aus
dem Felde schlagen können, getrennt der Sozialdemokratie das Feld überlassen müssen.
Es kommt allerdings darauf an, den Wahlkampf so zu disponieren und zu führen, daß
Konservative und Liberale zusammengehen können. Von den 69 Wahlkreisen, die in den
Januarwahlen von 1912 von der Sozialdemokratie erobert worden sind, waren durch
die Wahlen von 1907 nicht weniger als 66 in konservativen oder liberalen Besitz ge-
kommen, und zwar 29 in den Besitz der konservativen Parteien und ihrer Nachbarn,
37 in den der liberalen Parteien. Die Wahlen von 1907 hatten der Sozialdemokratie
den stärksten Verlust seit dem Bestehen des Reichstags zugefügt, die Wahlen von 1912
haben ihr den größten Gewinn gebracht. Die Parteien der Rechten sanken von 113 Man-
daten, die sie 1907 erobert hatten, in den Wahlen von 1912 auf 69 Mandate. Das
ist der tiefste Bestand der Rechten seit dem Jahre 1874. Dem Liberalismus brachten
die Wahlen von 1912 die bisher schwächste Vertretung im Reichstag überhaupt. Für
die Wahlen von 1907 waren zum erstenmal die Konservativen und die Liberalen aller
Schattierungen unter einen Hut gebracht worden. Die Wahlen von 1912 sahen zum
erstenmal eine enge Koalition aller links stehenden Elemente. 1907 ging die Rechte
mit 115 Mandaten gegenüber 106 Liberalen, 105 Zentrumsvertretern und 45 Sozialisten
als die stärkste Gruppe aus den Wahlen hervor. Im ZJahre 1912 wurde die Sozialdemo-
kratie mit 110 Mandaten die stärkste Partei im Reichstag, neben 90 Zentrums-
vertretern, 85 Liberalen und 69 Konservativen aller Nuancierungen. Der Vergleich
zwischen 1907 und 1912 legt die Schuldfrage nahe. Ich will sie unbeantwortet lassen.
Der Bergleich gibt aber interessante Lehren. Er zeigt, daß der Konservativismus an der
Seite des Zentrums keinen Ersatz für den Berlust finden kann, den er durch den Mangel
an Fühlung nach links erleidet. Er zeigt, daß die Sozialdemokratie die ungünstigsten
Thancen im Wahlkampf hat, wenn es gelingt, den Liberalismus von ihr fernzuhalten,
daß die Sozialdemokratie die größten Erfolge erringen kann, wenn der bürgerliche
Liberalismus an ihre Seite tritt oder an ihre Seite gedrängt wird.
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