126 · Innere Politik. I. Buch.
Oberschlesien und Ostpreußen dem Deutschtum wieder verloren gehen oder nicht? Wer
nationaldeutsch empfindet, muß antworten, daß es nie und nimmer geschehen darf, daß es
deutsche Pflicht und deutsches Recht ist, unseren nationalen Besitzstand im preußischen
Osten zu behaupten und, wenn möglich, zu mehren. In den siebzig Jahren, die zwischen
dem Wiener Kongreß und dem Beginn der preußischen Ansiedelungspolitik liegen,
hatte sich gezeigt, daß weder eine peinliche Respektierung der polnischen Nationalität,
noch eine Ignorierung der Nationalitätenfrage im Osten überhaupt verhindern konnten,
daß das Deutschtum im Osten langsam und sicher vom Polentum verdrängt wurde. Nur
eine planmäßige Förderung des Deutschtums konnte ein sicheres Erliegen des Deutsch-
tums verhindern. Wurde dadurch der Nationalitätengegensatz zunächst verschärft, so war
das gewiß beklagenswert, aber es war unvermeidlich. Es gibt nun einmal im politischen
Leben zuweilen harte Notwendigkeiten, die schweren Herzens erfüllt werden, aber von
deren Erfüllung keine Gefühlsregung befreien darf. Die Politik ist ein rauhes Handwerk,
in dem sentimentale Seelen es selten bie zum gelungenen Gesellenstück zu bringen pflegen.
Mit dem fundamentalen Alnsiedelungsgesetz von
1886 begann Biemarck den Kampf um den Boden
in großem Stil. Er forderte und erhielt 100 Millionen zum Zwecke des Ankaufs von
Gütern und der Ansiedelung deutscher Bauern, also der zahlenmäßigen Verstärkung
des deutschen Elementes in den Ostmarken. Das Ansiedelungswerk ist das Kernstück
der preußischen Ostmarkenpolitik, denn es setzt deutsche Menschen in den östlichen Gebieten
an. Und eine Frage der ziffernmäßigen Stärke der deutschen Bevölkerung neben der
polnischen ist die ganze Ostmarkenfrage. Durch Ansiedelung ist die nationale Erringung
des deutschen Ostens vor einem JZahrtausend begonnen worden, nur durch Ansiedelung
ist der nationale Erwerb zu behaupten. Das Ostmarkenproblem ist im Grunde so unkompli-
ziert wie möglich. Seine Lösung ist weniger eine Frage politischer Weisheit als eine Frage
politischer Tapferkeit.
Bismarck griff auf Grund des neuen Gesetzes kräftig zu, und es wurden in den
ersten 5 Zahren von 1886 bis 1890 etwa 46 000 ha aus polnischer Hand erworben. Der
Anfang der neunziger Jahre brachte als Begleiterscheinung eines sonst beklagenswerten
Ereignisses für die Tätigkeit der Ansiedelungskommission eine glänzende TChance. Durch
den Notstand der Landwirtschaft sanken die Gutspreise rapide, und es wäre nicht schwer
gewesen, eine gewaltige Landmasse für die Zwecke späterer Besiedelung durch Deutsche
aus polnischer Hand zu erwerben. Aber eben um jene Zeit glaubte Graf Caprivi aus
parlamentarischen Gründen den Polen entgegenkommen zu müssen. Den Konzessionen in
Schul- und Kirchenfragen folgte die Hilfeleistung für die polnische Landbank, das heißt
eine Rettungsaktion für eben den polnischen Grundbesitz, aus dessen Besitz die Ansie-
delungskommission bestrebt sein mußte, Land zu erwerben. Der nächste und beabsich-
tigte parlamentarische Zweck wurde zwar so weit erreicht, daß die Polenfraktion der
Armeevorlage von 1893 zustimmte. Aber es zeigte sich bald, daß die Haltung der Frak-
tion im Parlament, wie das oft geschieht, der Meinung der Partei im Lande nicht
entsprach. Gelegentlich der Beratung der Flottenvorlage versagte die Mehrheit der
Der Kampf um den Boden.
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