1I. Buch. Auswãartige Politik. 11
rungs- und Genußmittel werden für 3077 Millionen Mark ein-, für 1096 Millionen
ausgeführt. Diese toten Zahlen gewinnen Leben, wenn bedacht wird, daß ein großes
Stück deutschen Wohlergehens an ihnen hängt, Existenz und Arbeit von Millionen unserer
Mitbürger. Der Welthandel vermittelt diese gewaltigen Warenmassen. Sie gehen nur
zum geringen Teil auf den Land- und Wasserwegen des Festlandes, überwiegend über
das Meer auf den Fahrzeugen deutscher Needer. Industrie, Handel und Reederei haben
dem alten deutschen Wirtschaftsleben die neuen weltwirtschaftlichen Formen gewonnen,
die das Reich auch politisch hinausgeführt haben über die Ziele, die Fürst Bismarck der
deutschen Staatskunst gesteckt hatte.
Mit seinen 19 Milliarden Außenhandel ist heute Deutschland hinter Großbritannien
mit 25 und vor den VBereinigten Staaten mit 15 Milliarden die zweitgrößte Handels-
macht der Welt. Die deutschen Häfen sahen im Jahre 1910 11 800 eigene und 11 698
fremde Schiffe ankommen, 11 962 eigene und 11 678 fremde Schiffe auslaufen. Durch-
schnittlich 70 Dampfschiffe und an 40 Segelschiffe stellen die deutschen Reedereien jähr--
lich neu ein. In rapider Entwicklung haben wir Deutschen unseren Platz gewonnen
in der vordersten Reihe der seefahrenden und Seehandel treibenden Völker.
Das Meer hat eine Bedeutung für unser
nationales Leben gewonnen, wie niemals zu-
vor in unserer Geschichte, auch nicht in den großen Zeiten der deutschen Hansa. Es
ist ein Lebensstrang für uns geworden, den wir uns nicht durchschneiden lassen dürfen,
wenn wir nicht aus einem aufblühenden und jugendfrischen ein verwelkendes und altern-
des Volk werden wollen. Dieser Gefahr waren wir aber ausgesetzt, solange es unserem
Welthandel und unserer Schiffahrt gegenüber den übermächtigen Kriegsflotten anderer
Mächte an nationalem Schutz auf dem Meere gebrach. Die Aufgaben, die die bewaffnete
Macht des Deutschen Reichs zu erfüllen hat, hatten sich wesentlich verschoben, seitdem
der kontinentale Schutz, den uns unsere Armee sicherte, nicht mehr genügte, den heimischen
Gewerbefleiß gegen Störungen, Eingriffe und Angriffe von außen zu schirmen. Eine
Kriegsflotte mußte der Armee zur Seite treten, damit wir unserer nationalen Arbeit
und ihrer Früchte froh werden konnten.
Als im Frühjahr 1864 der englische Gesandte in Berlin den damaligen preußischen
Ministerpräsidenten auf die Erregung aufmerksam machte, die das Vorgebhen Preußens
gegen Dänemark in England hervorrufe und dabei die Bemerkung fallen ließ, daß, wenn
Preußen nicht Halt mache, die englische Regierung zu kriegerischen Maßnahmen gegen
Preußen gedrängt werden könnte, erwiderte ihm Herr von Bismarck-Schönhausen:
„Za, was wollen Sie uns denn eigentlich tun? Schlimmstenfalls können Sie ein paar
Granaten nach Stolpmünde oder Pillau werfen, das ist aber auch alles.“" Biesmarck hatte
recht für jene Zeit. Wir waren damals für das seebeherrschende England so gut wie
unangreifbar, weil wir zur See nicht verwundbar waren. Wir besaßen weder eine große
Handelsmarine, deren Zerstörung uns empfindlich treffen konnte, noch einen nennens-
werten Uberseehandel, dessen Unterbindung wir zu fürchten hatten.
Ganz anders heute. Wir sind zur See verwundbar geworden. Milliardenwerte
Notwendigkeit der Kriegsflotte.
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