Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
14 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch. 
  
daß der Unterstützungswohnsitz schon durch einjährigen Aufenthalt nach zurückgelegtem 
16. Lebensjahre erworben wird. Von weittragendster Bedeutung ist ferner, daß durch 
Gesetz von 1913 diese ganze Gesetzgebung auch für Bayern — zu einem vom Kaiser 
zu bestimmenden Zeitpunkte — eingeführt wurde. 
10. Staat und Kirche. Das Verhältnis von Staat und Kirche zu ordnen ist ver- 
fassungsmäßig Aufgabe der Einzelstaaten. Das Reich hat 
jedoch — schon als Norddeutscher Bund — den großen Grundsatz der Unab- 
hängigkeit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte vom Religionsbekenntnis 
gesetzlich festgelegt (1869). Ferner wurden die Beziehungen zum Jesuitenorden 
und den diesem Orden verwandten Orden und Kongregationen 1872 durch die Reichs-- 
gesetzgebung geregelt. Diese Regelung erfolgte durch folgende Sätze: 1. Verbot von 
Niederlassungen (Klöstern), 2. Verbot der Tätigkeit von Mitgliedern dieser Orden 
in Kirche und Schule, 3. Zulässigkeit der Anweisung oder Versagung des Aufent- 
haltes für bestimmte Orte. Die Reichsgesetzgebung im letzten dieser Punkte ist dem 
wiederholten Verlangen des Reichstages gemäß beseitigt (1904) und damit auch für 
deutsche Zesuiten das allgemeine Grundrecht der Freizügigkeit (Gesetz vom 1. November 
1867) wiederhergestellt worden. Der erste Punkt — Verbot von Klöstern — besteht 
in vollem Umfange auch heute noch zu Necht. Im zweiten Punkte war in den verschie- 
denen deutschen Staaten eine, wie es scheint, nicht unerheblich verschiedene Prazis 
eingetreten, so daß ein bayrischer Erlaß vom März 1912 den ZJesuiten eine ziemlich um- 
fassende kirchliche Tätigkeit zu gestatten für zulässig hielt. Demgegenüber hat der Bundes- 
rat mit BVerordnung vom 28. November 1912 die den Zesuiten gestattete Tätigkeit er- 
beblich enger begrenzt, nämlich durch das Verbot der Erteilung von Unterricht sowie 
vjeder priesterlichen oder sonstigen religiösen Tätigkeit gegenüber anderen“, ausgenommen 
nur stille Messen, Primizfeiern und die Spendung der Sterbesakramente; immerhin 
mit der regierungsseitig stark betonten Maßgabe, daß die Praxis in Beurteilung dieser 
Fragen keinen engherzigen Standpunkt einnehmen solle und werde. 
Die Zesuitenfrage hat im Jahre 1912 die Geister in Heutschland lebhaft erregt 
und zu heftigen parlamentarischen Erörterungen geführt; der Reichstag hat wieder- 
holt die Lufhebung des ganzen Fesuitengesetzes als eines „Ausnahmegesetzes“ verlangt. 
Zedenfalls wird die Frage zu neuen Kämpfen führen. 
Ein Gesetz vom 4. Mai 1874, welches „wegen unbefugter Ausübung von Kirchen- 
ämtern“ Aberkennung der Staatsangehörigkeit und Ausweisung zuließ, ist in seinem 
ganzen Umfang aufgehoben worden durch Gesetz vom 6. Mai 1890. 
  
Die Berhältnisse des zahlreichen Beamtenkörpers, dessen 
das Reich zur Erfüllung seiner Aufgaben bedarf, sind 
geordnet durch das große Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1875 (neue Fassung von 
1907). DOiese Gesetzgebung hat sich vollkommen bewährt und war nur in einer Reihe 
von Einzelpunkten auszugestalten. Die Fragen, die einer gesetzlichen Erledigung noch 
bedurften, waren wesentlich materieller Natur und bezogen sich vorzüglich auf die 
11. Die Reichsbeamten. 
  
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