Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
II. Buch. Staats- und Verwaltungerecht. 2 
  
gericht in Leipzig, eingesetzt wurde. Diese großartige Gestaltung war bereits durch die 
ältere Gesetzgebung durchgeführt worden. Vom materiellen Rechte gehört schon dieser 
älteren Periode an das Strafgesetzbuch (1872), sowie eine größere Anzahl von Einzel- 
gesetzen. Dazu trat nun seit 1. Zanuar 1900 das gewaltige Werk des Bürger- 
lichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, das in der Rechtsgeschichte aller Zeiten 
seinen Platz neben den analogen großen Gesetzbüchern des Allgemeinen Landrechtes, 
des Code Cinoil, des Osterreichischen Bürgerlichen Gesetzbuches einnehmen und behaupten 
wird. In einer besonderen Abhandlung ist diese großartige Entwickelung eines einheit- 
lichen bürgerlichen Rechtes für das gesamte deutsche Volk selbständig zu würdigen. An 
dieser Stelle muß es genügen, den Abschluß dieses Werkes nach einer ungeheuren Vor- 
arbeit von Jahrzehnten bervorgehoben zu haben und hinzuzufügen, daß eine Reihe von 
Einzelgesetzen den gewaltigen Bau des einheitlichen deutschen Rechtes noch weiter aus- 
führten, so die Grundbuchordnung (1897), das Gesetz über die sog. freiwillige Gerichts- 
barkeit, ein Gesetz über Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (18927), ein strenges 
Wuchergesetz, ein Gesetz über unlauteren Wettbewerb (1896), das Scheckgesetz (1908), 
das Gesetz über Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft (1904), das 
Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen (1901) und andere Gesetze mehr. 
Eine weitausgreifende Arbeit internationalen Charakters schloß sich auch an diese 
deutsche Gesetzgebung an, indem die wichtigsten Punkte des Familienrechtes — Ehe- 
schließung, Ehescheidung, Vormundschaft, weiterhin auch noch die Wirkungen der Ehe 
auf die persönlichen Rechte und Pflichten der Ehegatten sowie deren Vermögen, endlich 
die Entmündigung und gleichartige Fürsorgemaßregeln — durch umfassende Staats- 
verträge mit den wichtigsten Kulturstaaten des europäischen Kontinents zwar nicht 
einheitlich geordnet, aber doch unter grundsätzlichen und weitreichenden gegenseitigen 
Kechtsschutz gestellt wurden. Eine umfassende Reform des ganzen Strafgesetzbuches 
befindet sich zurzeit im Stadium der Ausarbeitung durch eine vom Reichstag eingesetzte 
Kommission von Gelehrten und Parlamentariern. DVgl. die besonderen Abhandlungen 
über diese Fragen. 
5. Das Verkehrswesen. 
1. Hie Eisenbahnen. Die Gedanken des Abschnitts VII der Reichsverfassung, die für 
das Eisenbahnwesen die gleiche grundsätzliche Gestaltung wie 
für das Post- und Telegraphenwesen zwar nicht vorgeschrieben, aber ihrem Gesamt- 
zusammenhange nach in Aussicht genommen hatten, hatten gegenüber dem Wider- 
spruch der Mittelstaaten und auch des Reichstages nicht durchgeführt werden können. 
Eine Reichseisenbahnverwaltung besteht nur für Elsaß-Lothringen; im übrigen ist das 
Eisenbahnwesen Sache der Einzelstaaten verblieben, soweit die Verwaltung in Betracht 
kommt. Der dadurch bedingte überflüssige Aufwand von Zeit, Kraft und Geld wird für 
absehbare Zeit nicht abgestellt werden können. Mit kleinen Mitteln, so besonders der 
vielerörterten Güterwagengemeinschaft, hat man hier auf dem Vertragswege einige 
Abhilfe zu gewinnen sich bestrebt. Die elsaß-lothringische Reichseisenbahnverwaltung 
  
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