Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
II. Buch. Staats- und Verwaltungerecht. 209 
  
samer Weise wahrgenommen. — Oie hohe See ist nach feststehenden völkerrechtlichen 
Grundsätzen keiner Staatsgewalt unterworfen; jedes Schiff ist Träger seiner eigenen 
Staatsgewalt auf hoher See. Daraus folgt, daß der Erwerb durch Fischerei auf hoher 
See — anders in den Küstengewässern — jedermann erlaubt ist. Zwingende Gründe 
haben trotzdem die Staaten der Nordseeküsten — Deutsches Reich, England, Frankreich, 
Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien — veranlaßt, bestimmte Rechtsgrundsätze über 
die Auslbung der Fischerei in der Nordsee aufzustellen und die Ausführung dieser Vor- 
schriften durch scharfe Aufsicht, gehandhabt von Staateschiffen, zu sichern. Diese Vor- 
schriften sind zusammengefaßt in dem großen und hochinteressanten Staatsvertrag über 
die Ausübung der Nordseefischerei (1892), dem sich ergänzend der Staatsvertrag über 
Bekämpfung des Branntweinhandels in der Nordsee (1887, in Kraft 1894) anschließt, 
zu dessen Ausführung ein besonderes Gesetz erging. 
Auch mit der Flußschiffahrt hat die Reichsgesetzgebung in eingehender Weise sich 
beschäftigt und die Materie nach ihrer zivilrechtlichen wie verwaltungsrechtlichen Seite 
durch große Gesetzgebungswerke über Binnenschiffahrt (1895), Flößerei (1895) und 
Wasserstraßen (1911) geordnet; eine eingehende Behandlung dieses großen und hoch- 
wichtigen Gebietes des neuen deutschen Verkehrslebens ist in dem Kapitel über die 
Wasserstraßen zu geben. 
Kein einziger Gegenstand hat die Keichsgesetzgebung nach Umfang und 
Inhalt in so ausgiebiger Weise beschäftigt, wie das Gewerbewesen, 
eine ganze Anzahl von Bänden würde die Zusammenstellung dieser reichsrechtlichen 
Vorschriften ergeben. Gleichwohl besteht zurzeit noch äußerlich eine große Zersplitte- 
rung des Rechtes auf diesem Gebiete und wir können kaum die Hoffnung hegen, daß 
diese unruhige und massenhafte Gesetzgebung sich in nächster Zeit zu einem einheit- 
lichen Gesetzbuche, analog etwa dem Handelsgesetzbuche, werde zusammenfassen lassen. 
Es handelt sich hier um den rechtlichen Niederschlag der größten und schwersten Frage 
unseres heutigen wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens, der sozialen Frage. In 
anderen Abschnitten dieses Werkes werden die Probleme der sozialen Frage nach allen 
ihren verschiedenen Richtungen zur Erörterung gelangen. An dieser Stelle ist lediglich 
eine Skizze der formalen Rechtsbildung auf diesem Gebiete zu geben. 
Von der ursprünglichen Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes (1868) sind 
heute nur mehr wenige Paragraphen übriggeblieben. Das ungeheure deutsche Arbeits- 
leben, das mit Aufrichtung des deutschen Gesamtstaates in allen Teilen Deutschlands 
einsetzte und auf das jeder Deutsche mit berechtigtem hohem Stolze blicken muß, hat 
die engen Vorschriften der ersten Deutschen Gewerbeordnung bald gesprengt. Und dazu 
kam ein zweites: das Prinzip der Gewerbefreiheit, das die erste Gewerbeordnung be- 
herrschte, hat innerlich wie äußerlich für die große Entwickelung nicht ausgereicht und 
mußte in weitem Umfange dem Gedanken eines nicht nur beaufsichtigenden, sondern 
organisatorischen Eingreifens des Staates weichen. 
Die Entwickelung der deutschen Gewerbegesetzgebung seit 1888 wird durch folgende 
Feststellungen gekennzeichnet: 
4. Gewerbe. 
  
165
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.