II. Buch. Staats- und Verwaltungerecht. 37
Bevölkerung bewohnten Landesteile. Zwar in Westpreußen konnten die Einrichtungen
der Staats- und Selbstverwaltung in derselben Gestaltung wie in den übrigen Pro-
vinzen eingerichtet und aufrechterhalten werden; in Posen dagegen war nach Lage der
Verhältnisse eine erhebliche Modifikation der allgemeinen Verwaltungseinrichtungen —
sie erfolgte durch Gesetz von 1889 — erforderlich: die Polizei auf dem platten Lande
wird in dieser Provinz durch rein staatlich ernannte Beamte, die Oistriktskommissare,
verwaltet und für die Einrichtungen der Selbstverwaltung der Provinz wie der Kreise
mußte statt der reinen Wahl ein staatliches Ernennungs- (Kreisausschuß) oder Bestä-
tigungsrecht (Provinzialrat, Provinzialausschuß, Bezirksausschuß) vorbehalten werden.
Zur ODurchdringung der polnischen Landesteile mit deutschen Elementen wurde
seit den 80er Zahren des vorigen Jahrhunderts (1886) in großzügiger Weise von Staats
wegen eine Ansiedelung deutscher Bauern und Arbeiter in diesen Gebieten in
die Wege geleitet. Das Werk konzentriert sich unter Aufsicht des Staatsministeriums
in der Ansiedelungskommission (1908), die durch Ankauf von Gütern, insbesondere
aber Parzellierung von Großgrundbesitz deutsche Dorfansiedelungen herzustellen in an-
gestrengter Arbeit und mit gutem Erfolge bemüht ist; im Verlaufe von 27 Fahren wurden
21 000 deutsche Familien auf dem Lande angesiedelt, große Flächen dauernden deutschen
Besitzes festgelegt (2500 qkm), und etwa 200 000 Deutsche dem Lande zugeführt; er-
bebliche Summen (bis 1912 725 Millionen Mark) wurden hierfür von Staats wegen
wiederholt (1886, 1898, 1902, 1908, zuletzt 1913) bereitgestellt und als äußerstes Wittel
behufs Weiterführung des großen Werkes seit 1908 die gesetzliche Möglichkeit der Ent-
eignung gegen volle Entschädigung von hierfür geeignetem Grundbesitz im Gesamt-
umfang bis zu 70 000 ha ausdrücklich vorgesehen. Daß es sich bei diesen Enteignungen
um „GEründe des öffentlichen Wohles“ im Sinne der Berfassungsurkunde, nämlich um
den Schutz und die Stärkung des preußischen und deutschen Nationalstaates handelt,
kann einem Deutschen nicht zweifelhaft sein. «
Der Gedanke der Festigung und Stärkung des Deutschtums in Verbindung mit
dem Gedanken der Förderung des Kleingrundbesitzes fand weiterhin 1912 auch gesetz-
liche Ausprägung für die „national gefährdeten Teile“ der Provinzen Ostpreußen, Pom-
mern, Schlesien und Schleswig-Holstein; die als „national gefährdet“ zu betrachtenden
Bezirke wurden durch Königliche Verordnung vom 12. März 1913 bestimmt; der Staat
stellte für diese Gebiete 1912 die Summe von 100 Millionen Mark bereit zur Förderung
des Kleingrundbesitzes durch deutsche Landwirte und Arbeiter; zugleich wurde in dem
Gesetz Fürsorge dahin getroffen, daß der mit diesen Mitteln zu errichtende deutsche
Kleingrundbesitz als solcher dauernd rechtlich gesichert bleibe in der Form von Renten-
gütern mit Anerbenrecht nach Maßgabe der hierfür erlassenen besonderen Gesetze.
Eine weitere gesetzliche Vorschrift zum Schutze des Deutschtums erging ferner 1904
dabin, daß bei Gründung neuer Ansiedelungen in den Provinzen Posen, Westpreußen,
Schlesien, Ostpreußen sowie für die pommerschen Regierungsbezirke Stettin und Köeslin,
endlich für den brandenburgischen Regierungsbezirk Frankfurt a. O. die Genehmigung
des Regierungspräsidenten für notwendig erklärt wurde; diese Genehmigung ist zu ver-
sagen, wenn die beabsichtigte Ansiedelung in Widerspruch steht mit den Gesetzen zum
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