40 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch.
Während die Verhältnisse der Städte in der ganzen Mo-
narchie, ja für ganz Deutschland, im wesentlichen einheit-
lichen Charakter auf der Grundlage der Steinschen Städteordnung tragen, ist dies für
die Landgemeinden nicht der Fall. Die Landgemeindeordnung von 1891 für die öst-
lichen Provinzen hat an den tatsächlichen Zuständen keine erheblichen Anderungen hervor-
gebracht und eine Vereinheitlichung des Landgemeinderechtes durch Annäherung der
östlichen Einrichtungen an die des Westens nicht zu bewirken vermocht. Zwar bestehen
für die eigentlichen Landgemeinden, die Bauerndörfer, in ganz Deutschland ziemlich
gleiche Verhältnisse; die Verwaltungseinrichtungen des Ostens sind für die Hörfer
sogar noch selbständiger als in einem großen Teile des Westens, wo die napoleonischen
Verwaltungsgrundsätze in der Form der, übrigens trefflich bewährten, Landbürger-
meistereien der Rheinprovinz und der „Imter"“ in Westfalen die Organisation und
Verwaltung der Landgemeinden beherrschen. Aber die auch heute noch in sämtlichen
östlichen Provinzen — in der Zahl von zirka 16 000 — bestehenden besonderen Ge-
meindeeinrichtungen für den großen Grundbesitz, die „selbständigen Gutsbezirke“,
lassen eine einheitliche Organisation der ländlichen Verwaltung in diesen Landes-
teilen nicht zu. Diese Verhältnisse sind das Ergebnis einer langen Geschichte und nur
eine lange Geschichte wird sie ändern können; durch Parlamentsreden oder Zeitungs-
artikel gegen veraltete „feudale“ Zustände lassen sie sich nicht beseitigen. Und wer histo-
risch denken zu müssen angesichts der großen Geschichte des preußischen Staates sich
verpflichtet fühlt, der wird nicht vergessen, daß die großen Krisen dieses preußischen
Staates im Siebenjährigen Kriege und dann wieder in den Freiheitskriegen nur deshalb
nicht zu unheilbaren Katastrophen wurden, weil der große Grundbesitz durch seine oft
die Leistungsfähigkeit übertreffende Opferfähigkeit in erster Linie das bistorische Ver-
dienst beanspruchen darf, die Uberwindung dieser Krisen ermöglicht zu haben. Auch
volkswirtschaftlich wird der Großbetrieb in der Landwirtschaft im ganzen immer ertrags-
und erfolgreicher sein als der Kleinbetrieb.
Demgegenüber steht die Notwendigkeit, bei steigender Bevölkerungsziffer der klleinen
Landwirtschaft freie Bahn zu schaffen. Die Strömung der Zeit ist dem Großgrund-
besitz nicht günstig, ja sie ist nicht selten direkt ungerecht gegen ihn.
Durch Aufteilung von hierzu geeigneten Domänen, Urbarmachung und Erschließung
von bisher ertragsunfähigem Boden (Moorschutzgesetz von 1913), Erleichterung der
Bildung von Kleingrundbesitz in Form von Rentengütern und durch andere Maßnahmen
befördert der Staat das Bestreben der Herstellung und rechtlichen Sicherstellung von
kleinem Bauernbesitz; aber der Staat wird in seinem eigensten Interesse dafür Sorge
tragen müssen, daß auch der Großgrundbesitz lebensfähig bleibt und die richtige Mischung
von Groß- und Kleingrundbesitz nicht verloren geht.
7. Die Landgemeinden.
Ein neuer verwaltungsrechtlicher Gedanke wurde dem preußi.
schen Berwaltungsrecht eingefügt im Zweckverband. Eine be-
sondere Ausgestaltung fand dieser Gedanke für die Stadt Berlin, für „Groß-Berlin“.
Im übrigen wurde durch Gesetz ein allgemeiner verwaltungsrechtlicher Rahmen des
8. Zweckverband.
176