Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
4 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch. 
  
landwirtschaftliches wie etwa sonst noch vorhandenes, auf eine einheit- 
liche Grundlage für die ganze Monarchie zu stellen sei, derart, daß für alle 
aus der Volksschule Entlassenen, weiblichen wie männlichen Geschlechtes, für die auf 
die Entlassung unmittelbar folgende Zeit eine Einheits-Fortbildungsschule, die nicht 
technischfachlichen, sondern allgemeinen Bildungs- und vaterländischen Interessen zu 
dienen habe, eingerichtet werden müsse. Oie ernsten Zeichen der Zeit mußten eine 
starke Mahnung in diesem Sinne sein, um nicht die deutsche Jugend verderblichen Ein- 
flüssen rettungslos anheimfallen zu lassen. In diesem Sinne ist auch eine „Jugend- 
pflege“ in großem Stile gefordert und in Angriff genommen worden; staatliche, kirch- 
liche, private und Vereinsbestrebungen wirken für diesen großen Zweck. Leider scheint 
die Entwickelung dieser Frage vorerst nicht in die richtigen Bahnen zu kommen; parla- 
mentarische Erörterungen scheinen sie mehr geschädigt als gefördert zu haben. Daß es 
sich in dieser Frage um eine der größten Aufgaben für die Zukunft unseres Volkes und 
Staates handelt, ist ohne weiteres klar. Aicht „gewerbliche“ oder „landwirtschaft- 
liche“ Interessen gilt es zu schützen, sondern nicht mehr und nicht weniger, 
als die Zukunft unseres ganzen Volkes. Von diesem Gesichtspunkte aus wird 
eine einheitliche gesetzliche Grundlage des Fortbildungsschulwesens in der ganzen Monar- 
chie gefordert werden müssen; die Fortbildungsschule muß in der Rechteform staatlichen 
Zwanges — nicht nach Ortsstatut! — das Mittelglied bilden zwischen dem staatlichen 
Zwange der Elementarschule und dem staatlichen Zwange der Erfüllung der Wehrpflicht. 
Nur so kann das Problem seine richtige und segensreiche Lösung finden; die Berück- 
sichtigung „gewerblicher“ Interessen braucht dabei keineswegs ausgeschlossen zu werden, 
muß jedoch gegenüber der großen Staatsaufgabe sittlicher und vaterländischer 
Art, die gelöst werden muß, in zweiter Linie stehen. Die Grundsätze für Einrichtung 
und Ausgestaltung dieser einheitlichen Fortbildungsschule, der in erster Linie die „Zugend- 
pflege“ obliegt, müßten durch Gesetz oder vom Staatsministerium aufgestellt werden. 
Hochschulen. Die glänzende Blüte der preußischen Hochschulen dauerte auf den 
bisherigen Grundlagen in unveränderter Weise fort. Den alten 
Universitäten sind infolge neuer Verhältnisse und Bedürfnisse besondere technische Hoch- 
schulen, sowie Hochschulen für Bergwesen, Beterinärwesen, Forstwesen ergänzend zur 
Seite getreten. Den technischen Hochschulen sowie der tierärztlichen Hochschule (1910) 
wurde durch Allerhöchste Erlasse das Promotionsrecht gewährt. Durch Gesetz wurden 
1898 die Disziplinarverhältnisse der Privatdozenten geregelt und dieses Gesetz 1908 auch 
auf die technischen Hochschulen ausgedehnt. 
  
An dieser Stelle ist auch zu nennen das Gesetz von 1900 über 
zwangsweise Fürsorgeerziehung von Personen unter 18 
Fahren in geeigneten Familien oder besonderen Fürsorgeanstalten gemäß Entscheidung 
des Vormundschaftsgerichtes nach Maßgabe bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen; die 
Ausführung des Gesetzes ist den Provinzialverbänden überwiesen unter Aufsicht des 
Ministers des Innern. 
Fürsorgeerziehung. 
  
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