Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
52 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch. 
  
rung und Aufsicht gestellt. Eine umfassende Genossenschaft dieser Art wurde 1913 für 
das linksniederrheinische Industriegebiet durch Sondergesetz geschaffen. 
9) Endlich wurde 1913 nach jahrzehntelangen schwierigen Arbeiten in verschiedenen 
Ministerien und nach gründlicher parlamentarischer Beratung das große Wassergesetz 
zum Albschluß gebracht, das an die Stelle eines überaus zersplitterten, teilweise völlig 
veralteten und im ganzen jedenfalls sehr unzureichenden Rechtszustandes ein einheit- 
liches, der heutigen Rechts- und Kulturentwicklung entsprechendes Wasserrecht für die 
ganze Monarchie schuf, zweifellos eines der hervorragendsten Gesetzgebungswerke der 
Neuzeit, das in erster Linie einen Ruhmestitel des Landwirtschaftsministeriums bildet. 
4. Das Finanzwesen 
Oie in der ganzen Welt sprichwörtlich gewordene altpreußische 
Sparsamkeit ist einer der größten Ruhmestitel des alten branden- 
burgischpreußischen Staates. Ihr topischer Vertreter ist, ebenso wie für die meisten 
anderen Zweige der Verwaltung, der große „innere König“ Friedrich Wilhelm I. Aur 
durch diese strenge Sparsamkeit war die Möglichkeit gegeben, daß das alte Preußen mit 
seinem von der Natur nur kärglich ausgestatteten Staatsgebiete den welthistorischen 
Weg gehen konnte, der zur Aufrichtung des Deutschen Reiches führte. 
Die Aufrichtung des Reiches stellte das neue schwere Problem der Teilung der 
Finanzquellen des Staates zwischen Reich- und Einzelstaaten. Die Reichsverfassung gibt 
zur Lösung dieses Problems zweifellos den allgemeinen Grundsatz: dem Reiche die 
Zölle und indirekten Steuern, den Einzelstaaten die direkten Steuern. Aber daß dieser 
Grundsatz von Anfang an nicht als ein streng ausschließlicher betrachtet wurde, beweisen 
die Worte „solange Reichssteuern nicht eingeführt sind“ im ursprünglichen Wortlaut 
der norddeutschen und der Reichsverfassung Art. 70, die der Vorschrift über die Erhebung 
von Matrikularbeiträgen beigefügt sind und diese letzteren ganz zweifellos als einen 
nur vorläufigen, demnach sobald als möglich zu beseitigenden Bestandteil des Reichs- 
finanzrechtes erklärten. 
Nach mehrfachem Schwanken und Experimentieren, wodurch die Grundsätze der 
strengen altpreußischen Finanzwirtschaft zeitweise in schwere Gefahr kamen, erfolgte 
der große Neubau des preußischen Finanzspstems durch die Steuergesetzgebung des 
Finanzministers Miquel seit 1891, fortgeführt von seinen hervorragenden Nachfolgern, 
eines der großartigsten und ruhmvollsten Werke der preußischen Gesetzgebung über- 
haupt. Die — im einzelnen an anderer Stelle dieses Werkes gewürdigten — Gesetze 
sind: das Gesetz, durch das die kleinen Einkommen steuerfrei gestellt wurden; das große 
Einkommersteuergesetz, dem ergänzend das Gewerbesteuergesetz sowie das Gesetz über 
die sog. Ergänzungssteuer (ein unmittelbarer Vermögensbeitrag an den Staat) zur 
Seite traten. 
Zm Anschluß an diese Neuordnung der Staatssteuern erging sodann das Gesetz 
über die Gemeindebesteuerung 1893, ergänzt durch das Gesetz über die Erhebung von 
Kreis- und Provinzialabgaben (1906); die Gemeindebesteuerung von Militärpersonen 
Staatssteuern. 
  
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