1. Buch. Auswärtige Politik. 17
durch den etwaigen englischen Widerstand wohl erschwert werden, aber kein Widerstand
der Welt konnte uns ihr entheben.
Mit dem Auge auf die englische Politik mußte unsere Flotte gebaut werden — und
so ist sie gebaut worden. Der Erfüllung dieser Aufgabe hatten meine Bemühungen auf
dem Felde der großen Politik in erster Linie zu gelten. In doppelter Hinsicht mußte
sich Deutschland international unabhängig stellen. Wir durften uns weder von einer
grundsätzlich gegen England gerichteten Politik das Gesetz unseres Entschließens und Han-
delns vorschreiben lassen, noch durften wir uns um der englischen Freundschaft willen
in englische Abhängigkeit begeben. Beide Gefahren waren gegeben und rückten mehr als
einmal in bedenkliche Nähe. In unserer Entwicklung zur Seemacht konnten wir weder
als Englands Trabant, noch als Antagonist Englands zum erwünschten Ziele kommen.
Die vorbehaltlose und sichere Freundschaft Englands wäre schließlich nur zu erkaufen ge-
wesen durch Aufopferung eben der weltpolitischen Pläne, um derentwillen wir die bri-
tische Freundschaft gesucht hätten. Wären wir diesen Weg gegangen, so würden wir den
Fehler begangen haben, den der römische Dichter meint, wenn er sagt, man dürfe nicht
propter vitam vivendi perdere causas. Als Englands Feind aber hätten wir schwerlich
Aussicht gehabt, in unserer Entwicklung zur See- und Welthandelsmacht so weit zu kom-
men, wie wir am Ende gelangt sind.
Heutschland und England während Während des Burenkrieges, der die
des Burenkrieges. Kraft des britischen Imperiums auf das
äußerste anspannte und England vor große
Schwierigkeiten führte, schien sich wohl eine Gelegenheit zu bieten, den stillen Wider-
sacher unserer Weltpolitik empfindlich zu treffen. Wie im übrigen Europa gingen auch
in Deutschland die Wogen der Burenbegeisterung hoch. Unternahm es die Regierung,
England in den Arm zu fallen, so war sie des Beifalls der öffentlichen Meinung gewiß.
Für einen momentanen Erfolg gegen England schien vielen die europäische Konstellation
günstig und namentlich die französische Hilfe sicher. Aber die europäische Interessen-
gemeinschaft gegen England war nur scheinbar, und scheinbarer noch wäre für uns der
Wert eines etwaigen politischen Erfolges gegen England in der Burenfrage gewesen.
Der Versuch, unter dem Eindruck der damaligen burenfreundlichen Stimmung zu
Taten zu schreiten, hätte bald eine Ernüchterung zur Folge gehabt. In der französischen
Nation hätte der tiefsitzende nationale Groll gegen das Deutsche Reich die momentane
Verstimmung gegen England rasch und elementar verdrängt, sobald wir uns gegen
England festgelegt hätten, und ein grundsätzlicher Frontwechsel der französischen
Politik in greifbare Nähe gerückt worden wäre. Mochte die frische Erinnerung an
Faschoda für den französischen Stolz auch noch so ärgerlich sein, gegen die Erinnerung an
Sedan wog sie federleicht. Der ägyptische Sudan und der weiße Ail hatten den Ge-
danken an Metz und Straßburg nicht aus den französischen Herzen verdrängt. Die Gefahr
lag nahe, daß wir von Frankreich gegen England vorgeschoben wurden, während Frank-
reich selbst sich im psochologischemn Moment der Mitwirkung versagte. Wie in Schillers
schönem Gedicht „Die Ideale“ hätten die Begleiter sich auf des Weges Mitten verloren.
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