Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
88 Die Reichsversicherung. II. Buch. 
der Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung und endlich die Sonderanstalt der See- 
berufsgenossenschaft. Von erheblichem Interesse ist es, daß gewisse allgemeine Rechts- 
grundlagen für sämtliche Träger in der Reichsversicherungsordnung nunmehr einheit- 
lich geregelt sind. Vor allem ist an die Rechtsfähigkeit zu denken. Sie schließt die Fähig- 
keit in sich, auf dem Gebiete des bürgerlichen und öffentlichen Rechts Träger von Rechten 
und Verbindlichkeiten zu sein. Eine Grenze findet sie in der Selbstverwaltung, d. h. es 
werden durch positiorechtliche Bestimmungen gewisse Handlungen überhaupt verwehrt 
oder ihre Vornahme nur unter Mitwirkung oder Zustimmung der staatlichen Aufsichts- 
behörden vorgenommen. Wie zahlreich auch diese Fälle in dem Gesetzbuche sind, so spie- 
len sie doch gegenüber der im allgemeinen freien Rechtsfähigkeit nur eine verhältnis- 
mäßig untergeordnete NRolle und weisen auf das zu beachtende Verhältnis zwischen 
Selbstverwaltung und Staatsaufsicht hin. Wie bedeutsam die Verleihung der Rechts- 
fähigkeit ist, vermag man zu erkennen, wenn man deren Fehlen bei den sogen. Berufs- 
vereinen bedenkt, die deshalb in ihrer Ausgestaltung und Wirksamkeit wesentlich be- 
hindert sind. Die Versicherungsträger können Darlehen aufnehmen, Grundbesitz er- 
werben und veräußern, hypothekarisch oder sonstwie belasten, ein Krankenhaus errichten 
oder ein eigenes Geschäftshaus bauen und verwalten. Nicht erforderlich ist zu alledem 
die Genehmigung der Aufsichtsbehörde für die Krankenkassen, wenn auch die ganze 
Finanzgebahrung eng mit den Rechten der Aufsichtsbehörden, die gesetz- und satzungs- 
mäßige Verwaltung zu überwachen, zusammenhängt. Erst durch ihre Rechtsfähigkeit 
und die darin liegenden Befugnisse im einzelnen haben die Versicherungsträger jene groß- 
artige Ausgestaltung ihrer Einrichtungen, die Erweiterung ihrer Leistungen ermöglicht, 
die ihnen das besondere Kennzeichen aufdrücken. 
Auch in bezug auf die innere Organisation 
ist eine BVereinheitlichung geschaffen worden. 
Jeder Versicherungsträger hat einen Vor- 
stand, der ihn gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Die großen Befugnisse machen 
aber auch erforderlich, daß bei Verstoß gegen Gesetz oder Satzung eine Beanstandung 
erfolgt, die durch Beschwerde angefochten werden kann. Außer dem Vorstand sind Organe 
der Versicherungsträger der Ausschuß bei den Krankenkassen und Versicherungsanstalten, 
die Genossenschaftsversammlung bei den Berufsgenossenschaften. Die Amter der Ver- 
sicherungsträger sind grundsätzlich ehrenamtliche. Auch die Voraussetzungender Wähl- 
barkeit, Wahlzeit, Ablehnung der Wahl, Strafe bei Pflichtverletzung, Amtsenthebung sind 
einheitlich gestaltet. Das immer mehr vordringende Soystem der Berhältniswahl hat 
grundsätzliche Annahme gefunden, um auch den Minderheiten einen entsprechenden Ein- 
fluß auf die Verwaltung zu sichern. Freilich ist mit Rücksicht auf die soziale Stellung der 
ehrenamtlich tätigen Personen die Notwendigkeit erkannt, neben der grundsätzlichen 
Unentgeltlichkeit für ihre Leistungen die Erstattung nicht nur der baren Auslagen, sondern 
auch den Ersatz für entgangenen Arbeitsverdienst oder statt dessen einen Pauschbetrag 
in Aussicht zu nehmen. Allerdings dürfen die ehrenamtlichen Stellen nicht Sinekuren 
werden, da sie sonst dem Wesen des Ehrenamts widersprächen, und sie dürfen auch keine 
Organisation der Versicherungs- 
träger. Ehrenämter. 
  
  
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