Finanzen und Steuern
Von Dr. Karl Theodor von Eheberg,
Geheimer Rat und Universitätsprofessor in Erlangen
In den 25 Jahren, die seit dem Regierungsantritt Kaiser
Wilhelms II. verflossen sind, haben sich im Finanz- und Steuer-
wesen des Reichs, der Einzelstaaten und der Gemeinden bedeutungsvolle Wandlungen
vollzogen. Uberall macht sich eine unaufhaltsame Steigerung der Ausgaben bemerkbar.
Sie ist im Reiche und in den großen Stadtgemeinden stürmischer als in den Einzelstaaten,
erreicht aber auch hier einen bemerkenswerten Umfang. Dort, im Reiche, sind es in erster
Linie die Rüstungsausgaben, die teilweise unter dem Druck gleichartiger Bemühungen
des Auslandes in den 25 Jahren sich mehr als verdoppelt haben; in den Stadtgemeinden
treten die großen Ausgaben für das Schul-, das Armen-, das Straßenwesen, für Kanali-
sation und Hygiene im weitesten Sinne beherrschend in den Vordergrund; in den einzel-
staatlichen Budgets hat der Aufwand für die Förderung von Landwirtschaft, Gewerbe
und Handel, für Gesundheitswesen, Rechtspflege, Unterricht, Kunst und Wissenschaft
eine stets wachsende Höhe erreicht, die nicht nur durch das Anwachsen der Bevölkerung,
sondern auch durch die weit größeren Ansprüche bedingt ist, die heute an die Staaten
in Erfüllung solcher Aufgaben herantreten. In allen drei Gemeinwirtschaften, aber
wieder weit mehr im Reich und in den großen Stadtgemeinden als im Hauzhalt der
Einzelstaaten, sind die Schulden zu beängstigender Höhe gestiegen.
Dieses Steigen der Ausgaben, das sich in der Zeit seit 1888 nach Millarden be-
rechnet, wäre nicht möglich gewesen, wenn sich nicht, trotz zahlreicher Kückschläge im ein-
zelnen, im ganzen ein Aufschwung des Wirtschaftslebens, eine Mehrung der Einkommen
und Vermögen vollzogen hätte, die noch um 1870 oußerhalb aller Wahrscheinlichkeits-
rechnung lag. Aber je mehr die Ausgaben wuchsen, um so ergiebiger mußten auch die
Einnahmen gemacht werden, um jene Ausgaben zu decken. In einigen Einzelstaaten
gelang es, einen Teil des Mehrbedarfs durch die günstige Entwicklung der staatlichen
Verkehrsanstalten aufzubringen. In den anderen aber und vor allem im Reich und in
den Gemeinden fiel ihre Deckung fast ausschließlich dem Abgabewesen zu. Es zeigte
sich jedoch, daß die alten Steuereinnahmen weder quantitatio noch qualitativ zur Deckung
des gesteigerten Bedarfs ausreichten. Zm Reiche, das die Zölle und Aufwandsteuern
sowie die Verkehrssteuern an sich gezogen hatte, zwang die Zunahme der Ausgaben
zu einer häufig wiederholten Steigerung der Steuersätze und zur Einfügung weiterer
Glieder. Und wenn dabei auch vielfach die Grundlagen geändert und dem Streben
Vorbemerkung.
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