I. Buch. Auswärtige Politik. 23
ausgebeutet hatte, die sich vor Manila zwischen unserem Geschwader und der amerika-
nischen Flotte abgespielt hatten, die deutsch-amerikanischen Beziehungen getrübt. Ihren
Höhepunkt erreichte diese Verstimmung im Februar 1899, so daß es angezeigt erschien,
der Anbahnung günstigerer Beziehungen zwischen den beiden bluts- und stammverwandten
Völkern mit Nachdruck das Wort zu reden. Was ich in dieser Richtung im Reichstag damals
ausführte, hat sich seitdem als wahr erwiesen: „Vom Standpunkte einer verständigen
Politik ist gar kein Grund vorhanden, warum nicht Deutschland und Amerika in den besten
Beziehungen zueinander stehen sollten. Ich sehe keinen Punkt, wo sich die deutschen und
amerikanischen Interessen feindlich begegneten, und auch in der Zukunft sehe ich keinen
Punkt, wo die Linien ihrer Entwicklung sich feindlich zu durchkreuzen brauchten. Wir
können es ruhig aussprechen, in keinem anderen Lande hat Amerika während des letzten
Jahrhunderts besseres Verständnis und gerechtere Anerkennung gefunden als in Deutsch-
land.“ Dieses Verständnis und diese Anerkennung brachte mehr als irgendein anderer
Kaiser Wilhelm II. Amerika entgegen. Die Anbahnung eines guten und sicheren Ver-
hältnisses zu den Vereinigten Staaten ist ihm in erster Linie zu danken. Er gewann die
Amerikaner allmählich durch eine ebenso konsequente wie verständnisvolle freundliche
Behandlung. Mit dem Präsidenten NRoosevelt verbanden ihn persönliche gute Beziehun-
gen. Die Entsendung des Prinzen Heinrich nach Amerika hatte den vollen erhofften Erfolg.
Sie trug wesentlich dazu bei, beide Bölker daran zu erinnern, wie viele gemeinsame
Interessen sie verbinden und wie wenig wirkliche Gegensätze sie trennen. Ein glücklicher
Sedanke unseres Kaisers war es auch, durch den Austausch namhafter Universitätslehrer
deutscher und amerikanischer Hochschulen den geistigen Konnezx der beiden germanischen
Völker noch fester und inniger zu gestalten. Deutsches Geistesleben, deutsche Dichtkunst,
Phpilosophie und Wissenschaft haben vielleicht nirgends in der Welt so aufrichtige Be-
wunderung gefunden wie in den Vereinigten Staaten. Andererseits sind die Wunder
amerikanischer Technik wohl in keinem anderen Lande so eifrig studiert und so freudig
anerkannt worden wie in Deutschland. ODieser intime Austausch geistiger, wissenschaft-
licher Errungenschaften gewann durch die Einrichtung der Austauschprofessoren seinen
äußeren Ausdruck. Die intimer werdenden Beziehungen zwischen den Völkern und
Staatsoberhäuptern förderten auch unsere politischen Beziehungen zu den Vereinigten
Staaten. Wir haben uns nicht nur über Samoa mit den Amerikanern freundschaftlich
auseinandergesetzt, Amerika ist uns auch während der kritischen Periode, die unsere
Politik am Anfang des neuen ZJahrhunderts zu durchlaufen hatte, nie störend in den Weg
getreten. Es gibt außer Osterreich wohl kaum ein Reich, wo so natürliche Voraussetzungen
für fortdauernde freundschaftliche Beziehungen mit uns bestehen als Nordamerika.
In den Vereinigten Staaten leben etwa 12 Millionen Deutsche. In ihnen ist seit der
Gründung des „deutsch-amerikanischen Nationalbundes“ im Jahre 1901 das Bestreben im
Wachsen, bei voller Treue gegen ihr neues Vaterland doch die Verbindung mit der alten
deutschen Heimat festzuhalten und zu beleben. Solange die Politik hüben und drüben
von ruhigen Händen geleitet wird, übertriebene Freundschaftsbeteuerungen ebenso ver-
mieden werden wie nervöse Stimmungen gegenüber den gelegentlichen Reibungen,
die auf wirtschaftlichem Gebiet sich immer einmal einstellen können, brauchen wir für
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