Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
78 Völkerrecht. III. Buch. 
  
Form keine Rede sein. Das haben selbst die sog. Pazifisten eingesehen, die auf die Frage 
der Abrüstung nicht mehr den Wert legen wie früher, sondern von der von ihnen ange- 
strebten, später noch zu besprechenden Organisation der völkerrechtlichen Gemeinschaft 
mittelbar die Beseitigung des Krieges und damit von selbst die Lösung der Frage der 
Abrüstung erhoffen. 
Haben die beiden Friedenskonferenzen den Krieg nicht beseitigen können, so haben 
sie wenigstens dadurch eine verdienstliche Arbeit geleistet, daß sie das Kriegsrecht im wesent- 
lichen kodifiziert und manche Milderungen der Kriegführung in Anregung gebracht 
haben. Namentlich ist es wertvoll, daß auf der zweiten Friedenskonferenz und der Lon- 
doner Seerechtskonferenz der Versuch gemacht wurde, auch das Seekriegsrecht in den 
Hauptpunkten zu kodifizieren und zahlreiche, gerade auf diesem Gebiete bestehende 
Streitfragen zu lösen oder doch der Lösung entgegenzuführen. 
Ein gewisses Verdienst haben sich auch die beiden Friedenskonferenzen durch die 
Feststellung der sog. Schiedsgerichtskonvention erworben, da durch diese Konvention bei 
internationalen Streitigkeiten die beteiligten Staaten auf die Mittel zur gütlichen Bei- 
legung der Streitigkeiten hingewiesen werden und in der Konvention namentlich auch 
das bei der Schiedssprechung einzuhaltende Prozeßverfahren geregelt ist. 
Andererseits darf man aber auch die Bedeutung und Tragweite dieser Konvention 
nicht übertreiben, an dem Mangel von ausdrücklichen Prozeßvorschriften in früherer 
Feit ist die gütliche Beilegung von internationalen Streitigkeiten niemals gescheitert und 
in Zukunft wird auch die Schiedsgerichtskonvention kriegerische Zusammenstöße nicht 
verhindern, wenn die beteiligten Staaten Gründe haben, auf eine gütliche Beilegung 
ihres Streites nicht einzugehen . 
Daß die Schiedsgerichtskonvention auf beiden Konferenzen eine so große Rolle 
spielte, hat lediglich darin seinen Grund, daß sich die Unmöglichkeit der grundsätzlichen 
Abschaffung des Krieges und daher auch die Unmöglichkeit, bezüglich einer Rüstungs- 
beschränkung zu einer Einigung zu gelangen, herausgestellt hatte und infolgedessen 
die aus innerer Uberzeugung oder aus sonstigen Gründen pazifistisch gesinnten Regie- 
rungen begreiflicherweise die Notwendigkeit betonten, möglichst alle internationale 
Streitigkeiten auf friedliche Weise, namentlich auf dem Wege der Schiedssprechung zu 
erledigen. 
Daraus erklärt sich auch, daß schon auf der ersten Friedenskonferenz die Frage des 
obligatorischen Schiedsverfahrens im Widerspruche mit dem russischen Programm 
aufgeworfen wurde und daß auf der zweiten Friedenskonferenz ein so erbitterter Streit 
um die Anerkennung des Grundsatzes des obligatorischen Schiedsverfahrens und den 
Abschluß eines auf diesem Grundsatze beruhenden Weltschiedsvertrags entbrannte. 
Daß dieses Projekt infolge des Widerspruchs verschiedener Staaten, deren Stimme 
nicht ignoriert werden konnte, abgelehnt wurde, beweist, daß diese Staaten sich bewußt 
waren, daß durch Abschluß eines solchen Vertrags eine abschüssige Bahn betreten werde, 
1) War ja doch auch in dem geplanten Weltschiedsvertrage eine Bestimmung vorgesehen, daß die Ver- 
tragsmächte nicht verpflichtet sein sollen, ihre Streitigkeiten der Schiedesprechung zu unterstellen, wenn die 
Lebensinteressen oder die AUnabhängigkeit oder die Ehre einer der streitenden Teile in Frage stehen. 
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