80 Völkerrecht. III. Buch
zieht, die Geltung des Völkerrechts auf alle Weltteile, freilich noch nicht auf alle
Völker und Staatswesen.
Durch die Ausdehnung der völkerrechtlichen Gemeinschaft auf die amerikanischen
Staaten einerseits und nichtchristliche Staaten andererseits sind die Grundsätze des Völker-
rechts, wie sich dieselben unter den christlichen Staateen von Europa ausgebildet hatten, zu-
nächst nicht berührt worden, da auch die nichtchristlichen Staaten, wenn sie als Mitglieder der
völkerrechtlichen Gemeinschaft anerkannt sein wollten, einfach sich dem in dieser Gemein-
schaft geltenden Rechte unterwerfen mußten. Es war dies um so leichter möglich, als das
Völkerrecht nicht in dem Maße, wie z. B. das Privatrecht und Strafrecht, von den in
einem Volke herrschenden religiösen Vorstellungen und den darauf beruhenden ethischen
Anschauungen abhängig ist. Eine andere Frage ist freilich, ob nicht im Laufe der Zeit
der Einfluß einerseits der amerikanischen, andererseits der mongolischen Staaten im
Völkerrechte Anschauungen zur Geltung bringen wird, die von den bisherigen Grund-
sätzen abweichen.
Ein weiteres bemerkenswertes Mo-
ment in der Entwicklung des Völker-
rechts während des letzten Jahrhun-
derts zeigt sich darin, daß die gegenseitigen Beziehungen der Mitglieder der völker-
rechtlichen Gemeinschaft viel zahlreicher und zum Teile auch andersartiger wurden
als früher. Sie wurden insofern andersartiger, als in früheren Jahrhunderten die
kriegerischen Beziehungen der Staaten an Zahl und Bedeutung überwogen. Das
verflossene Lahrhundert hat zwar auch noch zahlreiche Kriege gesehen, wie auch in
Zukunft kriegerische Zusammenstöße nicht zu vermeiden sein werden, daneben nahmen
aber die friedlichen Beziehungen an Zahl und Bedeutung zu. Namentlich machte sich
dies auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens geltend, wo der gesteigerte Verkehr
die bereits erwähnten Unionen und die zahlreichen Handels-, Zoll- und Konsularver-
träge hervorrief.
Im Zusammenhang damit steht, daß sich mehr und mehr ein gewisses Gefühl der
Solidarität unter den Mitgliedern der völkerrechtlichen Gemeinschaft geltend machte
und die Uberzeugung, daß gewisse Angelegenheiten nicht im egoistischen Interesse ein-
zelner Staaten erledigt werden dürfen, sondern im allgemeinen Interesse von der Ge-
samtheit der Mitglieder der völkerrechtlichen Gemeinschaft oder doch von einer erheb-
lichen Zahl derselben geregelt werden müßten.
Zunahme der friedlichen Beziehungen
und der Bölkerrechtsgemeinschaft.
Entstehung der Rechtssätze des In der Entwicklung des Völterrechts während
Völkerrechts durch Vertrag. des verflossenen Jahrhunderts ist ferner her-
vorzuheben, daß die Entstehung der Rechtssätze
auf dem Wege des Herkommens der bewußten Schaffung durch normsetzende Verein-
barungen gegenüber mehr und mehr zurückgetreten ist.
Die Gründe für diese Erscheinung lagen einmal in dem stärkeren Hervortreten des
Solidaritätsgefühls in der völkerrechtlichen Gemeinschaft, das den Wunsch rege machte,
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