Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

76 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
Er schwur sich von dem Klagevorwurf durch seinen Eid frei, den er entweder als Eineid oder 
mit einer bestimmten Zahl von Eidhelfern ablegte, welche schwuren, daß sein Eid „rein und 
unmein“ sei. Der Eid mit Helfern war ursprünglich ein solidarischer Eid des Geschlechtes. Die 
Helfer wurden unter Teilnahme des Prozeßgegners oder nach herkömmlichen Grundsätzen der 
Sippe des Schwörenden entnommen. Die Form des Eides war eine korporative, indem die 
Helfer mit gesamtem Munde schwuren. Der Begriff der Zeugen war ein sehr beschränkter. Als 
solche galten Männer, die bei Vornahme einer rechtlichen Handlung zu deren Stätigung bei- 
gezogen worden (Geschäftszeugen), und Nachbarn, die über gemeindekundige Verhältnisse 
und Ereignisse aussagten (Gemeindezeugen). Zufällige Wahrnehmung genügte nicht, um die 
Zeugenqualität zu begründen. Die Zeugen des Klägers schlossen den Eid des Beklagten aus. 
Brachten beide Teile bezüglich derselben Tatsache Zeugen, so gingen die des Beklagten vor. 
Der Zeugeneid war assertorisch, sein Inhalt durch das Urteil festgestellt. Subsidiär kamen als 
Beweismittel Gottesurteile zur Anwendung. Als solche kannte man Feuer- und Wasser- 
ordalien, das Losordal und den Zweikampf. War der Beklagte berechtigt und bereit, sich durch 
einen Eid mit Eidhelfern von der Klage loszuschwören, so konnte ihm in wichtigeren Sachen 
der Kläger den Weg zum Gide durch die Herausforderung zum Zweikampf verlegen. Ebenso 
durfte gegen den Zeugen des Gegners eine Meineidsklage erhoben werden, die kampfbedürftig 
war, d. h. nur durch gerichtlichen Zweikampf entschieden werden konnte. Abweichende Grund- 
sätze hatte das eigentümlich gestaltete Beweisverfahren des altsalischen Volksrechtes. Es kennt 
den Zeugenbeweis in ausgedehnterer, das Ordal des Kesselfangs in prinzipaler Anwendung. 
Für die allgemeine Entwicklung des deutschen Beweisrechtes sind diese Besonderheiten ohne 
bestimmenden Einfluß geblieben. 
Der Beklagte, der auf die Vorladung vor Gericht nicht erschien, verfiel in eine Buße, 
wenn er nicht sein Ausbleiben durch echte Not (sunnis) entschuldigen konnte. Die Abwesen- 
heit hatte aber nur dann rechtliche Wirkungen, wenn sie durch den Gegner bei sinkender Sonne 
rechtsförmlich konstatiert worden war, eine Handlung, die bei den Franken unter dem Namen 
Ssolsadire (Sonne setzen) erscheint. Fortgesetzter Ungehorsam führte schließlich zur Friedlos- 
legung des Beklagten. 
Eine gerichtliche Zwangsvollstreckung war dem germanischen Rechtsgang fremd. Hatte 
der Verurteilte die Erfüllung des Urteils rechtsförmlich versprochen, so war der Kläger befugt, 
unter Beobachtung gewisser Förmlichkeiten zur außergerichtlichen Pfändung zu schreiten und 
sich durch Pfandnahme zu befriedigen. Gegen die Partei, die sich weigerte, die Erfüllung des 
Urteils anzugeloben, stand nur die Friedloslegung zur Verfügung, welche nicht bloß die Person, 
sondern auch das Vermögen des Friedlosen ergriff. 
Der Gläubiger, dem sein Schuldner ein rechtsförmliches Schuldversprechen gegeben 
hatte, konnte, wenn der Abschluß des Schuldvertrags außer Zweifel stand, die Vertragsschuld 
durch einen rein außergerichtlichen Rechtsgang beitreiben, indem er nach mehrmaliger vergeb- 
licher Mahnung zur Pfändung schritt. ' 
War die Tat eine handhafte und zugleich eine solche, auf welche Friedlosigkeit gesetzt war, 
so bedurfte es nicht eines ordentlichen Rechtsganges, um sie zu ahnden. Wer sie wahrnahm, 
konnte das „Gerüfte" erheben, das die Nachbarn zu Hilfe und Zeugenschaft herbeirief. Angesichts 
ihrer durfte der durch die Tat an sich friedlos gewordene Missetäter sofort getötet werden. 
Doch mußte die Tötung öffentlich verlautbart und auf Verlangen als rechtmäßige Tötung eines 
Friedlosen gerechtfertigt werden. 
B. Die fränkische Zeit. 
I. Allgemeine Rechtsgeschichte. 
5 10. Das frünkische Reich. Von unscheinbaren Anfängen aus gelangte der Stamm 
der salischen Franken zu weltgeschichtlicher Bedeutung. Das fränkische Reich unterwarf sich 
die sämtlichen übrigen Stämme Deutschlands und gliederte sich — das westgotische Spanien 
ausgenommen — der Reihe nach die Staaten an, welche germanische Völker auf dem römischen 
Kontinent gegründet hatten. Bei der Begründung und Ausdehnung des fränkischen Reiches
	        
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