46 Seemacht und Kriegsflotte. IV. Buch.
der Zeit der Dreadnaughts gebauten, noch voll verwendungsfähigen Schiffe viel
stärker waren als die unsrigen aus derselben Periode. Sollten wir aber, nun England
die ganze Welt zur Nachfolge im Deplazement gezwungen hatte, ihm zuliebe das von
langer Hand her geplante Anwachsen unserer Schiffszahl im Rahmen des Klotten-
gesetzes verlangsamen?
So griff denn dem festen deutschen Willen gegenüber und in allmählicher Erkenntnis
unserer friedlichen Absichten in England eine andere Stimmung Platz. Mit dem grö-
ßerem Kräfteausgleich hat dann auch wohl die Lust, den Frieden zu brechen, jenseits
der Nordsee abgenommen. Oie Durchführung des Flottengesetzes begann also ihre
friedefördernde Wirkung zu äußern. Zwar hat die Drohung, die in der Zusammen-
ziehung der englischen Flotte in der Nordsee liegt, weiter bestanden, sie wurde allmählich
durch den Bau neuer Stützpunkte an der ostenglischen Küste zu einer ständigen Einrich-
tung, aber nebenher gingen doch Bestrebungen, die darauf abzielten, sich so oder so mit
dem Bau der deutschen Flotte abzufinden. Aus Drohungen wurden Verhandlungen
über Abrüstung oder über einen irgendwie gearteten Ausgleich. Sowie aber bestimmte
Vorschläge versucht wurden, sah man doch, daß für ein natürlich nur international mög-
liches Abkommen über Beschränkung der Flottenrüstungen kaum je eine Formel sich würde
finden lassen, die nicht in das souveräne Selbstbestimmungerecht der Staaten eingriffe.
So ist das Zahr 1909, das im Februar
die Beendigung der in London tagen-
den Seekriegsrechtskonferenz brachte, trotzdem das Unbehagen über Deutschlands Flotte in
Englank bestehen blieb, doch als der Anfang eines neuen Zeitabschnittes anzusehen, der dazu
berufen sein kann — nicht den ewigen Frieden zu bringen, den es auf der Welt nie geben
kann — aber einen von allen Seiten anerkannten, weil geschichtlich notwendig gewor-
denen Gleichgewichtszustand auf der See. Schon daß England, das noch im Jahre
1874 abgelehnt hatte, an der Brüsseler Konferenz teilzunehmen, wenn nicht alle Fragen
des Seekriegsrechts von der Besprechung ausgeschlossen würden, jetzt selbst zu einer
solchen Besprechung eingeladen hatte, zeigte den Willen zum Einlenken. Man kann
verstehen, daß es ihm schwer geworden ist, auf die souveräne Beherrschung der See
und aller damit zusammenhängenden Fragen zu verzichten, ja daß, wie eine englische
Stimme sagt, die Hindernisse, die England anderen Staaten in der Beziehung in den Weg
gelegt hat, „mehr instinktiv als absichtlich“ herbeigeführt worden seien und wird sich doch
des Umschwunges freuen und des Anteils, den Deutschlands Rüstungen daran gehabt
haben.
Auch daß die Londoner Konferenz, teils der damaligen politischen Gruppierung
der Mächte folgend, teils in Nachwirkung der Ereignisse des russisch-zapanischen Krieges,
eine im Sinne der Gleichberechtigung und daher der Gerechtigkeit eigentlich selbstrerständ-
liche Forderung nicht erfüllt hat, braucht uns an dem Glauben nicht irre zu machen, daß
wir uns besseren Zuständen nähern. Ich meine die Frage, wie Staaten, die nicht über
die ganze Welt hin verteilte Stützpunkte haben, in entfernten Gebieten Krieg führen
sollen. Die Alrt und Weise, in der die Beschlüsse der Konferenz die Reise einer Flotte
Die Londoner Seekriegsrechtskonferenz.
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