Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
54 Seemacht und Kriegsflotte. IV. Buch. 
  
Beziehung nichts anderes zeigten, als was unsere Friedenserprobung uns schon gebracht 
batte. Seitdem hat sich vieles geändert. Die Verstärkung der Artilleriewirkung der neuen 
großen Linienschiffe war neben anderen Zwecken schon darauf berechnet, den Vorsprung 
gegen den Torpedo zu bewahren, der mit seiner Schußweite ständig nachdrängte und 
darauf ausging, der Artillerie den Rang als alleinige Entscheidungswaffe im Kampf 
auf großen Abstand streitig zu machen. Seitdem ist auch der Torpedo zu einer Fernwaffe 
geworden, wenn seine Anwendung als Konkurrent der Artillerie auch nicht mehr wie früher 
die Lösung der Ordnung bedingt und also an den äußeren taktischen Formen zunächst 
nichts ändern wird. Neben das große Linienschiff sind die ihm an Kampfkraft wenig 
nachstehenden, an Schnelligkeit es aber übertreffenden Linienschiffskreuzer getreten, 
die, zu Verbänden vereinigt, ihre Stellung freier wählen können und statt der einheit- 
lichen Kampflinie für den Flottenkampf Kombinationen von Linien bedingen. Oie 
Vermehrung der zu gleicher Zeit in einer Schlacht fechtenden Linienschiffsgeschwader 
drängt ebenfalls zu solchen Kombinationen, und nehmen wir noch die Vergrößerung 
und vermehrte Kampfkraft der Torpedoboote binzu, die Unterseeboote, die Flugzeuge 
und Luftschiffe, so sehen wir, wie die Verhältnisse sich verschoben haben für die Vor- 
bereitung zum Kampf, für seine Durchführung und für die Ausnutzung des Erfolges. 
Je komplizierter der Schlachtenapparat wird, je mehr es sich darum handelt, neue, 
im Kriege noch nicht erprobte Kampfmittel anzuwenden, desto wichtiger wird es aber 
auch, die Kriegsvorbereitung schon im Frieden so nahe an die Wirklichkeit des Krieges 
beranzuschieben wie nur möglich. Daß wir uns dessen stets bewußt gewesen sind, das 
zeigt die Vorgeschichte unseres Flottengesetzes, das zeigt der Geist, der in unseren Schiffs- 
besatzungen und ihren Führern lebt. Von solchen kriegsmäßigen Ubungen dürfen auch 
weder die hohen Indiensthaltungskosten der Schiffe abschrecken, noch die Gefahren für 
Material und Personal, die aus dieser Friedensarbeit entstehen. All dies kann nicht ins 
Gewicht fallen gegenüber der Gefahr, in der Stunde der Entscheidung den Anforderungen 
des Krieges nicht gewachsen zu sein. Denn über das Schicksal großer Reiche und 
ihrer Millionen von Bewohnern entscheidet diese kurze Spanne Zeit der 
Schlacht, in der wie in einem Brennpunkt alles sich zusammenschließt, was 
jahrelange Friedensarbeit uns geben soll. Sie liegt unter der Oberleitung 
des Kaisers, dessen Initiative und dessen stetem Ansporn DOeutschland 
seine Flotte verdankt, in guten Händen. 
  
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